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Astro zieht immer

Wer etwas Unsichtbares sehen will, muss nur wissen, wie man richtig hinschaut. Und an Unsichtbarem mangelt es im Weltall nicht. Einige der Menschen, die versuchen es aufzuspüren, waren am vergangenen Wochenende beim diesjährigen Astroseminar der WWU Münster und sprachen in Vorträgen über den neuesten Stand astronomischer und astrophysikalischer Forschung.

Jedes Jahr im Oktober lädt das Institut für Kernphysik der Uni Münster zu einem zweitägigen kostenlosen Seminar ein, bei dem die breite (aber bestenfalls interessierte) Öffentlichkeit in Vorträgen mehr über Sterne, Planeten, Schwarze Löcher und vor allem die physikalischen Zusammenhänge, das Große Ganze und das Winzigkleine erfahren kann. Organisiert wird das Seminar allerdings nicht von Professor*innen und Lehrstühlen des Instituts, sondern vom Forschungsnachwuchs in Form der Physik-Doktorand*innen. Bereits vor zwei Jahren haben wir am Astroseminar teilgenommen und damals einen Videobericht produziert. Trotzdem lohnte sich der Besuch auch in diesem Jahr, denn zum zwanzigjährigen Jubiläum des Seminars lautete am 25. und 26. Oktober das übergreifende Thema „Dem Unsichtbaren auf der Spur“. Und wenn es um Detektivarbeit geht, nimmt man doch auch schon mal ein bisschen Physik in Kauf!

„Astro zieht halt immer“, stellt dann auch Mitorganisator und Physik-Doktorand Fabian Joswig zufrieden fest, als er das diesjährige Astroseminar als Moderator eröffnet und auf einen gut gefüllten Hörsaal blickt. Dass man hier am Institut für Kernphysik im engeren Sinne aber eher selten direkt in die Sterne schaut, erklärt er uns später im Interview:

Fabian Joswig, einer der Organisatoren des diesjährigen Astroseminars, ist Physik-Doktorand und moderierte die Veranstaltung.

An diesem ersten Nachmittag und Abend wird, dem Motto angemessen, alles dafür getan, dem Publikum erst einmal näherzubringen, was denn dieses Unsichtbare ist, dem man versucht, auf die Spur zu kommen. Der erste Vortrag des Seminars behandelt Gravitationswellen, deren Existenz zwar lange Zeit vermutet worden war, seit einigen Jahren aber erst erfolgreich nachgewiesen worden ist. Der erste direkte Nachweis im Jahr 2016 hatte weltweit und weit über die Fachpresse hinaus für Aufsehen gesorgt. Auf für manche Laien im Publikum (im Wesentlichen ich) schon recht anspruchsvolle Art stellt Dr. Oliver Jennrich vom Europäischen Weltraumforschungs- und Technologiezentrum in Noordwijk (Niederlande) in seinem Vortrag dar, dass kosmische Großereignisse wie die Kollision zweier Neutronensterne dazu führen, dass in Form von sich ausbreitenden Gravitationswellen der Raum selbst gekrümmt und gedehnt wird! Der Nachweis dieser Wellen ist daher so schwierig, da sich diese Veränderung des Raums auf einem unglaublich kleinen Maßstab abspielt und nur unter störungsfreien Messbedingungen zu entdecken ist. Unglaublich klein heißt so in etwa 10-21 cm, also ausgeschrieben 0,000000000000000000001 cm. Da müsse man schon die Prinzessin auf der Erbse sein, um das zu spüren, scherzt Jennrich mit Verweis auf seinen Lieblings-Webcomic. Die verwendeten Messinstrumente sind derzeit riesige Anlagen, die in verschiedene Richtungen und über Kilometer hinweg einen Laserstrahl schicken und reflektieren und anhand von Schwankungen feststellen, ob die Anlage von einer Gravitationswelle erfasst worden ist. Dumm nur, wenn gerade jemand in der Nähe einen Baum fällt. Perfekte Messbedingungen liegen also auf der Erde nur an wenigen Orten vor, aber auch hier können nur besonders heftige kosmische Ereignisse erfasst werden. Daher werden gegenwärtig Theorien entwickelt, wie man das Ganze in den Weltraum verfrachten könnte. Zukunftsmusik, die laut Jennrich vor allem unter einer ernstzunehmenden Problematik leidet: Im All gibt es keine Studierenden, die die Anlage bauen und warten können!

Dr. Oliver Jennrich hatte die Ehre des ersten Vortrags. Thema: Gravitationswellen.

Trotz mitunter komplizierter Materie: Zuhören lohnt sich. Denn im Anschluss an den Vortrag gibt es wie auch bei den weiteren Vorträgen eine Fragerunde für besonders Interessierte und Mitdenkende. Die Dozierenden selbst wählen dann am Schluss ihre Lieblingsfrage aus, und die fragende Person gewinnt einen Becher mit Astroseminar-Aufdruck. (Ich versuche hierbei erst am zweiten Tag des Seminars mein Glück. Offenbar ist eine andere Frage jedoch interessanter, so dass ich becherlos abziehen muss.)

Weiter geht es mit Raffaela Busse, Physik-Doktorandin an der WWU, Fachgebiet: Neutrinos. Neutrinos sind so kleine Teilchen, dass bis vor ein paar Jahren nicht mal bewiesen war, dass sie überhaupt eine Masse besitzen. Hinzu kommt, dass sie keinerlei Ladung besitzen und daher praktisch niemals mit umgebenden Atomen und Molekülen reagieren und auch durch feste Körper einfach so hindurchschießen. Und trotz dieser Eigenschaften gibt es sie einfach überall: Neutrinos sind nach Photonen die häufigsten Teilchen im Universum. Raffaela Busse weist das Publikum an, einfach mal für zehn Sekunden den Daumen nach vorn auszustrecken und sich vorzustellen, dass in dieser kurzen Zeit mehr als 600 Milliarden Neutrinos durch die Daumenspitzen gewandert sind. Natürlich passiere das auch, wenn man den Daumen nicht nach vorn ausstrecke, aber auf diese Weise sehe es für sie unten am Rednerpult lustiger aus.

Raffaela Busse berichtete in ihrem Vortrag von Neutrinos, dem Südpol und ihrem Leben mit beidem.

Neutrinos und ihren Ursprung nachzuweisen ist aufgrund ihrer Beschaffenheit selbstverständlich ziemlich schwierig, und diese Aufgabe brachte Busse vor einiger Zeit bis ans Ende der Welt. In unmittelbarer Nähe des Geographischen Südpols ist in 2,5 km Tiefe im ewigen Eis des Antarktischen Hochplateaus ein einzigartiges Teleskop versenkt: Das IceCube Neutrino Observatory, an dessen Forschung die Uni Münster beteiligt ist, besteht aus mehr als 5000 Sensoren, die verteilt auf 86 Kabelstränge ein Volumen von einem Kubikkilometer abdecken. Dabei haben diese Sensoren keine andere Aufgabe, als das Eis zu beobachten. Wenn nämlich doch einmal einer der höchst seltenen Fälle eintritt, dass ein Neutrino mit seiner Umgebung reagiert, dann macht sich das in Form eines blauen Lichtblitzes, der sogenannten Tscherenkov-Strahlung, bemerkbar. In einem klaren Medium wie Eis, in dem sich ansonsten ziemlich wenig abspielt, sind solche Lichtblitze für Sensoren gut zu erkennen. Ihre Richtung und Beschaffenheit wiederum geben Aufschluss darüber, woher genau die Neutrinos stammen und was ihre Quelle ist. Der Nachteil an dem ganzen Projekt ist aber, dass die Sensoren eben dort am besten funktionieren, wo so ziemlich alle Bedingungen menschenfeindlicher nicht sein könnten. Doch Raffaela Busse war begeistert, die Chance wahrzunehmen, für ein Jahr auf der Amundsen-Scott-Südpolstation zu leben und zu arbeiten. Locker und lebendig erzählt sie, wie man dort überhaupt hinkommt, wie es sich auf der Station lebt – und wie man sich durch freiwillige zusätzliche Arbeit mehr als die zugeteilten vier Minuten Dusch-Zeit pro Woche(!) ergaunert. Den Abschluss ihres Vortrags bildet ein Zeitraffer-Film aus Hunderten Fotos vom südlichen Polarlicht (Aurora Australis).

Und filmisch geht es nach einer kurzen Pause weiter: Auch in “Die Jagd nach dem Geisterteilchen – vom Südpol bis an den Rand des Universums”, einem amerikanischen Film, der sonst im Planetarium des LWL-Naturkundemuseums gezeigt wird, geht es um das IceCube-Projekt. Der Erkenntnisgewinn ist eher gering, die illustrierenden Special Effects fragwürdig, trotzdem ist das Ganze als Abschluss des ersten Seminar-Tages recht kurzweilig, und man bekommt einige visuelle Eindrücke und lernt die zentralen Köpfe hinter dem Projekt kennen.

Modell des IceCube Neutrino Observatory, das die Funktionsweise illustriert.

Der zweite Tag des Astroseminars beginnt streng genommen erst mittags. Am Vormittag finden allerdings traditionell schon Führungen durch die Labore des Instituts für Kernphysik statt. Hier geht es also ans Eingemachte, und man bekommt einen Einblick in die tägliche Arbeit am Institut. Wer große, höchst komplex und wissenschaftlich aussehende Gerätschaften mag, kommt hier voll auf seine Kosten, muss sich allerdings im Vorfeld für die Führungen angemeldet haben, denn die Plätze sind knapp und oft schnell vergriffen.
Ich habe einen Platz bei einer Führung zum ClusterJet Target ergattert. Vorab will ich mich auf der Seite des Forschungsprojekts informieren, werde hierbei allerdings schnell von der harten Wahrheit eingeholt, dass ich keinen besonderen Zugang zur Wissenschaft der Physik besitze. Auch bei der Führung verstehe ich wenig – was hier allerdings vor allem an der uns umgebenden Lautstärke liegt. Einer der wenigen Satzfetzen, die ich aus dem Munde des Doktoranden, der uns durch die Labore führt, vernehmen kann: Es sei ein Glück, dass die Maschinen gerade nicht liefen, sonst wäre es noch sehr viel lauter. Die mich umgebenden anderen Schaulustigen sind entweder sehr viel besser mit der Materie vertraut als ich oder genauso wenig, jedenfalls gibt es keine Fragen. Nach einer halben Stunde, in der ich meine Aufmerksamkeit zunehmend auf das (durchaus beeindruckende) Visuelle verlagert habe, werden wir wieder aus dem Laborkomplex heraus- und zum Ort des Astroseminars hingeführt.

Das Forschungsprojekt ClusterJet Target, eines der Ziele der Laborführungen.

An diesem zweiten Tag stehen noch vier weitere Vorträge auf dem Programm. Den Anfang macht Prof. Dr. Stephan Geier von der Uni Potsdam, der über eine besondere Art der Zweierbeziehung spricht: In seinem Vortrag geht es – so Titel – um das turbulente Leben enger Doppelsterne. Tatsächlich könne man davon ausgehen, dass mehr als die Hälfte aller Sterne in unserer Galaxie, der Milchstraße, Begleiter haben, also z.B. eine weitere (oder manchmal sogar noch mehr) Sonnen, mit denen sie in mehr oder weniger großen Umlaufbahnen umeinander kreisen. Das Extrembeispiel für derartige Systeme ist bereits in den vorangegangenen Vorträgen angesprochen worden und wird von Stephan Geier nun auch weiter ausgeführt: Sogenannte Neutronensterne, die eng umeinander kreisen und sich aufgrund ihrer hohen Masse immer stärker gegenseitig anziehen und ihre Rotationsgeschwindigkeit immer weiter erhöhen, bevor sie in einem riesigen Knall kollidieren und explodieren. Derartige Großereignisse sind natürlich sehr dramatisch, für die Forschung aber eben auch besonders wichtig, da hier die Art von Gravitationswellen erzeugt wird, die man messen kann und auch schon gemessen hat. Zudem werden bei den Explosionen hochenergetische Neutrinos freigesetzt, die man wiederum mit IceCube auf ihren Ursprung zurückverfolgen kann.

Prof. Dr. Stephan Geier in seinem Vortrag über Doppelstern-Systeme.

Geier stellt jedoch noch andere Varianten von Doppelstern-Systemen vor: Rote Riesen, also aufgeblähte Sterne im Endstadium ihrer Strahlkraft, die beim Ausdehnen anfangen, ihre Materie an ihren kleineren Begleiter abzugeben. Oder andersrum kleinere Sterne mit großer Masse, die dem größeren Stern Materie entziehen. Sterne, die in Supernovas explodieren und zu Weißen Zwergen zusammenschrumpfen. Oder Doppelsterne, die in Kilonovas verschmelzen und dabei noch einmal ein Vielfaches der Energie einer Supernova freisetzen. Viele Konstellationen sind denkbar, und vieles scheint in Geiers Versuchsaufbau unterhaltsamerweise auf die Frage hinauszulaufen: Wie bringe ich Sterne zum Explodieren? Vielleicht ist das einer gewissen Berufskrankheit zuzuschreiben, bei der man über sehr viele Sachverhalte Theorien anstellen, Simulationen durchführen und vielleicht auch indirekt Beweise sammeln kann, die direkt zu beobachten einem allerdings fast niemals vergönnt sind.

Im Anschluss an eine Mittagspause folgt ein Vortrag über nützliche Tipps, wie man im All überlebt (wer kennt das nicht?). Referent Dr. Urs Ganse von der Universität Helsinki (Finnland) erläutert, dass es schon einmal schwierig sei, überhaupt ins Weltall zu kommen. Für den nötigen Schub bestünden Raketen zum Großteil aus Antriebsvorrichtungen, das eigentliche Raumschiff sei nur die kleine Spitze des riesigen Apparats. Außerdem genügt es nicht, eine Rakete senkrecht nach oben zu schießen, denn nur weil man weiter oben ist, hört die Schwerkraft nicht plötzlich auf zu wirken, und man würde schneller wieder herunterfallen, als man aufgestiegen ist. Deshalb begeben sich Raketen unmittelbar nach ihrem Start in Schräglage, um direkt in eine Erdumlaufbahn einzuschwenken. Das Geheimnis oben zu bleiben besteht letztlich darin, sich ständig im freien Fall zu befinden, aber immer an der Erde vorbei – geneigte Freunde der Literatur von Douglas Adams sind mit dem Konzept vertraut.

Dr. Urs Ganse gibt praktische Alltagstipps zum Überleben im Weltraum.

Eine besondere Herausforderung stellen (Mikro-)Meteoriten dar, also Klein- und Kleinstteile, die natürlichen Ursprungs oder auch Resultat der Raumfahrt selbst sein können (Stichwort: Weltraumschrott) und die unvorhersehbar mit Geschwindigkeiten von z.T. mehreren zehntausend Stundenkilometern auf die Raumfahrenden einprasseln können. Dagegen müssen sowohl Raumschiffe und -stationen wie die ISS als auch Astronaut*innen selbst geschützt werden. Die Expertise, die allein in die Lösung dieser Problematik und somit in die Konstruktion entsprechender Schilde fließt, ist eine Wissenschaft für sich. Doch auch auf die ganz selbstverständlichen Bedürfnisse geht Ganse in seinem Vortrag ein: Raumfahrende müssen z.B. irgendwoher Luft zum Atmen bekommen. Diese bereitzustellen ist gerade bei Langzeitmissionen wie der ISS eine komplexe wissenschaftliche Aufgabenstellung. Sowohl bei der Beseitigung des ausgeatmeten Kohlendioxids als auch bei der Erzeugung neuen Sauerstoffs hat es seit Beginn der Raumfahrt viele kreative Lösungsansätze gegeben. Die Bereitstellung von ausreichend Sauerstoff kann z.B. erreicht werden, indem man in einem Filter Wasser spaltet und den frei werdenden Sauerstoff der Luft zuführt. Natürlich wäre es Verschwendung, frisches Wasser dafür zu verwenden, also recycelt man z.B. Abwässer. Zum Schock des Publikums stellt Urs Ganse folgerichtig fest: “Nein, als Raumfahrer müssen Sie selbstverständlich nicht ihren eigenen Urin trinken. Sie müssen ihn atmen!”
Nachdem man nun also erfolgreich nach oben geschossen worden ist, das Bombardement durch Meteoriten überstanden und währenddessen die eigenen Ausscheidungen (und die der Kolleg*innen!) eingeatmet hat, folgen bei der Rückkehr auf die Erde noch die Gefahren des Wiedereintritts in die Atmosphäre. Auch hierfür stellt Ganse entsprechende Hitzeschilde vor und erklärt, warum es sogar logischer sein kann, sein Raumschiff in ein Material zu hüllen, das beim Wiedereintritt verbrennt, statt der Hitze Widerstand zu leisten.

Als nächstes kehren wir noch einmal zum Thema Neutrinos zurück. Denn IceCube ist nicht das einzige Projekt, das sich mit den “Geisterteilchen” beschäftigt. Auch das internationale Karlsruhe Tritium Neutrino Experiment (KATRIN) hat sich der Neutrinos und besonders ihrer Masse verschrieben. Lange Zeit war angenommen worden, Neutrinos seien masselos, vor einigen Jahren war aber immerhin indirekt nachgewiesen worden, dass sie in der Tat eine Masse besitzen. Nun soll KATRIN genauer als bislang möglich bestimmen, wie schwer so ein Neutrino ist. Für diesen Zweck sei KATRIN die “genaueste Waage der Welt”, wie Dr. Kathrin Valerius (Uni Bonn) in ihrem Vortrag erläutert: Neutrinos wiegen im Vergleich zu (ohnehin sehr leichtgewichtigen) Elektronen wohl in etwa soviel wie ein Spielzeugauto im Vergleich zu einem ausgewachsenen LKW samt Ladung. Daher vermag KATRIN Gewichte bis zu einem Maßstab von 10-34g (diese Zahl werde ich nicht ausschreiben) zu messen.

Dr. Kathrin Valerius ist der Masse von Neutrinos auf der Spur.

Ohne zu sehr in die technischen Details einzusteigen (das gebietet mein Anstand gegenüber der Leserschaft): KATRIN nutzt den Zerfall von Tritium-Molekülen (einem Wasserstoff-Isotop) in Helium-Moleküle, bei dem die Zerfallsenergie grundsätzlich ein wenig größer ist als das, was sich in der Elektronenmasse des resultierenden Heliums nachweisen lässt. Die “fehlende” Energie lässt wiederum auf die Masse der freigewordenen Neutrinos schließen. Die Apparatur, um das nun alles reagieren lassen, detektieren und messen zu können, besteht aus einer Tritiumquelle (wiederum eine Reihe kleinerer Gerätschaften), einem riesigen Spektrometer (von dem gleich noch die Rede sein wird) sowie einem Detektor, an dem die eigentliche Messung stattfindet.
Das Spektrometer ist im Wesentlichen ein 200 Tonnen schwerer, 24 Meter langer und 10 Meter dicker, mehr oder weniger zylindrischer Vakuumtank, der nach seiner Konstruktion im Jahr 2006 eine lange Reise hinter sich bringen musste, um an seinen späteren Einsatzort Karlsruhe zu kommen. Zwar liegen zwischen seinem Konstruktionsort Deggendorf, nördlich von München, und Karlsruhe gerade einmal 350 Kilometer. Für den Transport auf Straße oder Schiene ist das Spektrometer aber einfach zu groß gewesen. Die einzig mögliche Lösung stellt Kathrin Valerius zur Verblüffung des Publikums vor: Per Schiff wurde es die Donau hinunter, über das Schwarze Meer, das Mittelmeer, den Atlantik, den Ärmelkanal und die Nordsee schließlich den Rhein hinauf transportiert und in die Nähe seines Bestimmungsortes gebracht. 8.600 Kilometer! Für die letzten paar Kilometer war der Überlandweg möglich (wenn auch knifflig), und unter großem Zuschauerandrang gelang der Transport Ende November 2006. Bilder wie z.B. dieses (Autor: Wikipedia-User Dkw, Lizenz: CC BY-SA 2.0) von jenem Tag zeugen davon, wie knapp es dabei mitunter zuging. Diese spektakuläre Aktion liegt zwar schon 13 Jahre zurück, dennoch ist das Thema KATRIN hochaktuell. Denn die weitere Vorbereitung hat bis zum letzten Jahr gedauert, bis das Projekt im Mai 2018 endlich erste Ergebnisse liefern konnte. Bereits nach den ersten Wochen war klar, dass KATRIN weitaus genauer arbeitet als all ihre Vorgänger. Valerius stellt fest, dass noch viel Arbeit bevorstehe, wenn es um die Neutrino-Forschung gehe, die Torte aber immerhin schon einmal angeschnitten sei.

Prof. Dr. Peter Biermann bei seinem (mehr als) zwanzigsten Astroseminar.

Zum Abschluss des Astroseminars 2019 hielt noch ein besonderer Gast einen Vortrag über die Entdeckungsgeschichte des Schwarzen Lochs: Prof. Dr. Peter Biermann hat bislang an jedem Astroseminar teilgenommen, inklusive der mehr oder weniger spontanen Versammlungen interessierter Studierender, aus denen das Astroseminar in seiner heutigen Form erst noch hervorgehen sollte. Entsprechend ist das wiederkehrende Motiv seines Vortrags die Geduld. Auf viele Fragen, gerade wenn der Forschungsgegenstand Schwarze Löcher seien, sei es erst nach Jahrzehnten möglich gewesen, erste Antworten zu geben. Manche Rätsel um die mysteriösen Objekte habe man schon seit über 40 Jahren zu knacken versucht, aber vermeintliche Lösungen hätten manchmal nur zu mehr Fragen geführt. Als es im April dieses Jahres zum ersten Mal gelang, mit dem Event Horizon Teleskop eine Fotografie des supermassiven Schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie M87 (Autor: Event Horizon Telescope, Lizenz: CC BY 4.0) zu machen und sich die Medien weltweit überschlugen, war auch das für Biermann Anlass, neue Fragen zu stellen, z.B. wieso man überhaupt einen Ring aus Licht sieht und warum er nicht überall dieselbe Intensität besitzt. Doch jene Geduld, mit der man an dieses Forschungsfeld herangehen müsse, sei eben der Grund dafür, weshalb wir immer und immer weiter dazulernen. Prof. Biermanns abschließende Aufforderung ans Publikum, die Initiative zu ergreifen und dazu beizutragen, die offenen Fragen zu beantworten, nehme ich allerdings nicht zu persönlich. Das werde ich dann doch anderen überlassen. Trotzdem ein gelungenes Schlusswort zum diesjährigen Seminar!

Das Astroseminar ist jedes Jahr wieder eine interessante und im wahrsten Sinne des Wortes Horizonte erweiternde Veranstaltung. Die Erfüllung des selbst gesteckten Anspruchs, hochkomplexe Themen allgemeinverständlich und für die breite Öffentlichkeit aufzubereiten, hängt natürlich stark von den jeweiligen Dozierenden ab. Aber im Großen und Ganzen gelingt es, den Ball flach genug für Gelegenheitsinteressierte wie mich zu halten. Die Vorträge haben in der Regel eine Länge von einer Stunde, inklusive der anschließenden Fragerunden, daher kann man sich gut im Voraus aussuchen, welche Themen einen am meisten interessieren, ohne nachher nie wieder etwas darüber hören zu wollen. Und der Eintritt ist kostenlos, daher kann ich erst recht allen, die sich auch nur ein bisschen für Astronomie und Astrophysik interessieren, empfehlen, im kommenden Jahr dabei zu sein.

Weitere Bilder:

Fotos: Jakob Töbelmann (Lizenz: CC BY-NC-SA 3.0)

Jakob Töbelmann

Langjähriger Münsteraner friesischen Geblüts. Auszubildender zum Mediengestalter Bild & Ton im Bürgerhaus Bennohaus.

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