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FDP: Autoarme Innenstadt ja, aber die Reihenfolge macht’s

Der Koalitionsvertrag ist nun druckreif. Die neue Koalition aus Grünen, SPD und VOLT hat schon ihre Arbeit aufgenommen. Der Wille der Koalition für eine fast autofreie Innenstadt hat hohe Wellen geschlagen. Die Opposition schäumte. Wir haben uns Münsters Politik ins Studio geholt und die einzelnen demokratischen Akteur*innen zum Stand der Dinge befragt. Hier das Interview mit Jörg Berens, Fraktionsvorsitzender der Ratsfraktion der FDP Münster.

Das Interview hat Jan Große Nobis am 9. März 2021 mit Ratsherrn Jörg Berens geführt.

Jan Große Nobis: Hallo liebe Hörer*innen. Heute sprechen wir mit Jörg Berens, dem Fraktionsvorsitzenden der FDP im Stadtrat der Stadt Münster. Der Koalitionsvertrag ist verabschiedet, die neue Koalition aus Grünen, SPD und VOLT hat ihre Arbeit aufgenommen. Die FDP ist wieder einmal in der Opposition.

Wir fragen nach, was es auf sich hat mit dem vermeintlichen Widerspruch zwischen autofreier Innenstadt und den Interessen der Gastronomie und des Einzelhandels. Ebenso fragen wir, was es auf sich hat mit der Forderung nach digitalen Endgeräten für alle Schüler*innen – und das sofort. Ebenso stellen wir die Frage nach der Mitte der Gesellschaft und wo diese zu verorten ist.

Herr Berens, Guten Tag. Als Teile des Koalitionsvertrages durch die Westfälischen Nachrichten geleakt wurden, sagte Ihr verkehrspolitischer Sprecher Simon Haastert in den WN noch: ,,Statt Schnellschüssen brauchen wir ein durchdachtes Gesamtkonzept. Das heißt, wir müssen attraktive Mobilitätsangebote schaffen, wie ein Metrobus-System mit hoher Taktung und Park-and-Ride-Parkplätzen mit guter Anbindung an die Innenstadt“. Ein Metrobus-System will die Koalition auch. Park-and-Ride-Parkplätze am Rande der Innenstadt stehen auch auf der Agenda. Das Koalitionspapier liest sich wie ein Gesamtkonzept. Stehen Sie jetzt hinter der Koalition?

Jörg Berens: Vor allem bei der Mobilität ist es besonders wichtig die Reihenfolge einzuhalten und es richtigrum zu machen. Und mein Eindruck ist jetzt – wir sind ja auch mitten in den Haushaltsberatungen im Rat –, dass die Reihenfolge genau verkehrt herum ist.

Also im Moment erlebt man von der Koalition ja im Bereich der Mobilität keine Innovation und keine Konzepte, sondern einfach eine Autoverhinderungspolitik. Das halte ich für grundlegend falsch, denn wir müssen erst mit anderen Verkehrsträgern wie Fahrrad, ÖPNV und Metrobus-System die Innenstadt besser erreichbar machen, bevor wir dann darüber sprechen können, dass wir die Innenstadt – nach unserer Auffassung zumindest – autoärmer gestalten können.

Und hier wird das Pferd von der falschen Seite aufgezogen und das ist in einer Zeit, wo es gerade der Innenstadt, Stichwort Einzelhandel, Stichwort Gastronomie, Stichwort Corona-Pandemie, sehr sehr schlecht geht. Ein fatales Zeichen und wirklich auch falsch.

Ich hab das so verstanden, dass die Koalition im Endeffekt in den Nachverhandlungen grade das nochmal umgedreht hat, dass wirklich erst…

Also die konkreten Beschlüsse, die der Verkehrsausschuss mit Mehrheit von Grünen, SPD und Volt getroffen haben, sagen da eine andere Sprache. Wenn die Königsstraße jetzt anders genutzt werden soll und damit auch das Parkhaus in den Arkaden umgenutzt werden soll, dann zeugt es nicht, für mich, davon, dass man erst einmal überlegen will „Wie machen wir die Innenstadt erreichbarer mit anderen Verkehrsträgern?“, sondern schließt erstmal die Autos aus der Innenstadt aus.

Gut. Sie selbst haben kritisiert, dass das Ziel einer autofreien Innenstadt, gerade mit Blick auf die stark von der Krise betroffenen Gastronomiebetriebe und Einzelhandel der falsche Weg sei. Das haben Sie gerade ja auch nochmal wiederholt. Aber es gibt auch etliche Beispiele, wo eine autofreie Innenstadt funktioniert, oft hat der Handel sogar profitiert. So wie in Hamburg Ottensen, Madrid, dem Times Square oder auf der Mariahilfer Straße in Wien. Ungestörtes Shopping, ohne störenden Autoverkehr im Nacken, könnte die Innenstadt doch wieder beleben und somit Gastronomie und Einzelhandel aus der Krise helfen.

Ja richtig. Ich sage auch nicht, dass wir nicht daran arbeiten müssen, die Innenstadt autoärmer zu kriegen. Noch einmal: Die Reihenfolge ist das Entscheidende!

Denn: wir dürfen hier nicht Kirchturmdenken betreiben. Münster ist das Oberzentrum des Münsterlandes, das heißt, auch aus den Regionen Coesfeld, Borken, Warendorf, Steinfurt und teilweise aus dem nördlichen Ruhrgebiet haben wir Menschen, die wegen unserer attraktiven Innenstadt zu uns kommen wollen, zum Shoppen, wenn dann mal wieder endlich alles auf ist.

Und auch denen müssen wir eine Möglichkeit, eine Perspektive geben, die Innenstadt überhaupt zu erreichen. Und das sehe ich gerade nicht, wenn wir jetzt anfangen, in der Innenstadt jetzt schon quasi, mit dem motorisierten Individualverkehr auszuschließen einerseits, aber keine Möglichkeit geben, über ÖPNV und andere Möglichkeiten die Innenstadt besser zu erreichen.

Deswegen: Wir müssen erst Mittel finden, wie die Innenstadt auf anderem Wege erreichbar ist und dann im nächsten Schritt tatsächlich auch mit den Gastronomen, mit dem Einzelhandel, mit den Bürgerinnen und Bürgern, die dort ja auch leben, im Dialog tatsächlich zu gucken, wo und an welchen Stellen wir die Innenstadt autoärmer gestalten können.

Sie haben gefordert, dass statt einem Bann auf die Autos, „Bildungsdefizite unsere Kinder aufgeholt werden sollen“. Nachdem Sie das Koalitionspapier zu dem Thema Schule und Bildung gelesen haben, sehen Sie die Forderung umgesetzt?

Ich sehe, dass die Koalition jetzt ein bisschen einen Digitalisierungsschub in den Schulen erleben oder los machen will sozusagen – mit 12.000 iPads.

Wir als FDP haben ein durchfinanziertes Gegenkonzept, wo wir sagen: Wir schaffen es mit ähnlichem Finanzeinsatz, wie es jetzt die Koalition plant, allen Schülerinnen und Schülern an den weiterführenden Schulen in unserer Stadt ein digitales Endgerät, ein iPad zur Verfügung zu stellen.

Das würde, glaube ich, der ganzen Sache noch mehr Schub geben und würde auch tatsächlich den Schulen vor Ort die Last nehmen, zu entscheiden, wer bekommt denn jetzt ein iPad und wer bekommt keins.

Unser Modell sagt, dass den Sozialschwachen die iPads kostenlos zur Verfügung gestellt werden und dann – so ein bisschen nach dem Prinzip der Elternbeiträge bei der Kindertagesbetreuung –, nach dem Einkommen gestaffelt, ein Leasingmodell an den Start gebracht wird, sodass man dann eine monatliche Nutzungsgebühr, entsprechend des Einkommens der Eltern, zahlen muss, um das iPad nutzbar zu machen. Damit würden wir es schaffen tatsächlich, bei etwa 6 bis 7 Millionen Euro Einsatz, dass die Stadt allen Kindern, allen Schülerinnen und Schülern ein iPad zur Verfügung stellt.

Aber scheinbar hat die Koalition für fast alle Schulformen genug iPads versprochen mit dem aktuellen Beschluss.

Wer sagt, dass es genug ist?

Ich habe mal ein bisschen gerechnet: Also mit den schon vorhandenen iPads und den jetzt beschlossenen im Schulausschluss würden Gymnasien, Förderschulen und Sekundarschulen genug iPads bekommen, in unteren Klassen dann halt 1 Klassensatz für 2 Klassen. Laut Schulleiter*innen reicht das. Was fehlt, sind aber die Berufsschulen.

Das muss man differenzieren. Ich sage, es ist nicht genug, weil wir haben ungefähr 40.000 Schülerinnen und Schüler an weiterführenden Schulen – allein an weiterführenden Schulen. Da sind jetzt die kirchlichen Trägerschaft durchaus mit rein gerechnet. Rechnet man die raus, werden wir bestimmt bei 30.000 sein, und es werden halt „nur“ 12.000 iPads angeschafft, die teilweise auch noch in die unteren Klassen gehen. Also, insofern kann ich da Ihre Rechnung, zu sagen, es gibt genug, nicht nachvollziehen.

Ich glaube, wir müssen uns mehr denn je und dringender denn je auf den Weg machen, der Digitalisierung wirklich einen richtigen Schub zu verleihen. Und auch abseits der Pandemie übrigens, jedem Kind, jedem Schüler, jeder Schülerin ein digitales Endgerät zur Verfügung zu stellen. Und das ist etwas, was die Koalition jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht macht.

Sie haben in den Koalitionsvertrag reingeschrieben, dass es perspektivisch bis 2025 passieren soll, aber das sehe ich nicht.

Und: Ein weiterer Punkt ist ja sehr wichtig. Wir müssen ja nicht nur jetzt schauen, wie wir das finanzieren, sondern es muss ja auch perspektivisch finanziert werden. Das heißt iPads, gerade wenn sie von Jugendlichen genutzt werden, werden ja Abnutzungserscheinungen erleben und werden ja auch regelmäßig ausgetauscht werden müssen – im Zyklus von vier Jahren.

Jetzt hat man einmal eine Investition in den Haushalt eingestellt von sechs Millionen. Aber, was ist denn in vier Jahren, wenn zumindest die Stückzahl, die jetzt angeschafft werden soll, sozusagen abgängig ist und wir neue brauchen. Darüber trifft die Koalition keine Aussage und das ist eben auch der wesentliche Unterschied zu dem Modell, das die FDP-Fraktion vorschlägt, zu sagen erstens: Jeder Schüler, jede Schülerin an der weiterführenden Schule bekommt ein digitales Endgerät. Und zweitens: Wir haben eine Finanzierung, die einen ähnlichen Finanzeinsatz für die Stadt bedeutet, ein Stück weit auch eine Gegenfinanzierung über die Eltern – das gehört zur Wahrheit dazu –, aber das ist etwas, was sich die Stadt dauerhaft über die nächsten acht Jahre beispielsweise sehr, sehr gut wird leisten können oder zumindest nicht gut leisten können, aber zumindest ist das etwas, was im städtischen Haushalt – unserer Auffassung nach darstellbar ist. Und das halte ich für den nachhaltigeren Weg als das, was die Koalition jetzt beschlossen hat.

Sehen Sie speziell ein Problem darin, dass auf jeden Fall ja Berufsschüler*innen ausgenommen sind?

Also mit den Berufsschülern ist das in der Tat auch ein Problem, dass sie nicht dabei sind. Wobei, da ist das Problem ein bisschen vielschichtiger, da stimme ich den Kollegen von den Grünen durchaus zu, die sagen: „Die haben schon vor Jahren beschlossen, dass sie an diesem Medienentwicklungsplan der Schulen nicht teilhaben wollen, sondern einen eigenen haben wollen, deswegen müssen sie anders behandelt werden“. Aber auch da hat die FDP-Fraktion beispielsweise schon im letzten Haushalt – also zum Jahr 2020 – acht Millionen Euro wollten wir in den Haushalt einstellen, um tatsächlich die Berufsschule in unserer Stadt auch digital zu ertüchtigen.

Sie sehen im Koalitionspapier nicht die „Interessen junger Familien und Häuslebauer“ gewahrt. Der geforderte neue Stadtteil fehlt. Der Schwerpunkt liegt bei der Koalition nun wirklich nicht auf dem Eigenheimbau, aber der Wohnungsbau soll forciert und somit der teure Wohnungsmarkt entspannt werden. Ist das in dieser Lage nicht wichtiger, viele Wohnung zu schaffen, statt wenige Einfamilienhäuser? Hilft das nicht auch jungen Familien?

Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Auch der Bau von Einfamilienhäusern hilft dem Wohnungsmarkt. Weil, wenn beispielsweise eine junge Familie in ein Eigenheim einzieht, hat das Sogwirkung.

Daraus resultieren sich zwei oder drei Umzüge aus verschiedenen Wohnungen und auch das hilft insofern dem Wohnungsmarkt tatsächlich zur Entspannung, wenn sie Einfamilienhäuser bauen.

Ich glaube, wir müssen eben beides tun. Wir müssen als attraktive Stadt ein attraktives Angebot für jedermann in unserer Stadt haben. Und da ist mein Eindruck schon, dass sehr darauf geguckt wird, dass wir eben im Wohnungsbereich was machen – da machen wir übrigens auch zu wenig, aber eben nichts beim Thema Eigenheim!

Und ich finde, in unserem Land müssen Träume noch möglich sein. Und auch die Verwirklichungen von Träumen müssen möglich sein. Und mein Eindruck ist, dass das in unserer Stadt immer schwerer möglich wird, gerade eben für junge Familien.

Ich habe selbst zwei Kinder, würde mich insofern noch als relativ junge Familie bezeichnen. Wir haben auch ein Haus gekauft, gebaut. Das ist sehr, sehr schwierig. Das ist auch finanziell sehr, sehr anspruchsvoll.

Und auch übrigens dadurch, dass die Koalition jetzt weiter die Baustandards erhöht, wird das Bauen auch zukünftig noch teurer und das wird es für junge Familien noch schwerer machen, hier in der Stadt heimisch zu werden.

Und wir dürfen halt einen Fehler nicht begehen, wir dürfen nicht glauben, wenn wir keine Einfamilienhäuser hier bauen in unserer Stadt, dass dann die jungen Familien beispielsweise sagen: „Na gut, dann gehe ich halt in eine Dreizimmerwohnung“. Sondern die werden natürlich ins Umland gehen und werden eben schauen, wo sie da fündig werden nach einem Baugrundstück und dort bauen und werden dann womöglich in Münster arbeiten. Und dann kriegen wir wieder andere Probleme – Stichwort Verkehr. Also insofern, die Ausgewogenheit fehlt mir da.

Und insbesondere auch tatsächlich der neue Stadtteil. Weil wir haben so große Bedarfe, dass wir nach unserer Auffassung dringend in die Planung eines neuen Stadtteils einsteigen müssen, der natürlich nicht nur Einfamilienhäuser umfassen, sondern natürlich ein Mischgebiet mit vielen Bauformen sein soll.

Gut, aber die Kollektion schließt ja keine Einfamilienhäuser aus. Sie will sie am Stadtrand ja schon zulassen und die Studie des Pestel-Instituts sagt, dass vor allem barrierefreier und billiger Wohnungsraum fehlt – Mietwohnungsraum im Übrigen. Und gerade auch bei kleinerem Wohnraum sieht es da schlecht aus, sagt die Studie.

Ich habe den Koalitionsvertrag jetzt nicht auswendig gelernt, aber nach meinem Dafürhalten taucht allein das Wort Einfamilienhaus nicht einmal auf. Insofern wird der Frage des Einfamilienhauses in dem Koalitionsvertrag keine Priorität zugeordnet.

Ich weiß aus der letzten Hauptausschusssitzung, dass da direkt bei einem Baugebiet am Maikotten, direkt kritisch nachgefragt worden ist: ,,Müssen denn da so viele Einfamilienhäuser gebaut werden?“ Und auch in der Diskussion zwischen mir und Vertretern von den Grünen, ist relativ schnell relativ deutlich geworden, dass man eher der Auffassung ist, dass wir keine Einfamilienhäuser brauchen, sondern mehr Mehrfamilienhäuser und dergleichen.

Wir haben mit der Wohn- und Stadtbau beispielsweise ja eine kommunale Baugesellschaft, die sich genau auch darauf konzentrieren muss, natürlich auch kleinere Wohneinheiten zu bauen, die auch am bezahlbaren Wohnraum weiterarbeiten muss. Wir haben die sozial gerechte Bodennutzung, die glaube ich gut funktioniert – oder zumindest der Mechanismus funktioniert. Wir haben aber immer noch zu wenig Bauland…

Der Mechanismus funktioniert und so langsam fängt es an, zu greifen, habe ich den Eindruck.

… Ja, kann man auch so formulieren. Trotzdem glaube ich aber, dass wir in Summe immer noch zu wenig Bauland haben. Deswegen ja unser Ansatz einen neuen Stadtteils zu planen.

Also manche Instrumente funktionieren. Das muss man der Ehrlichkeit halber auch sagen. Das war ja nicht alles schlecht in den vergangenen Jahren bei dem Thema Wohnen. Das hat schon Priorität – nach meinem Dafürhalten – bei jeder Partei oder jeder Fraktion im Rat gehabt. Wir haben da auch vieles gemeinsam auf den Weg gebracht, aber es braucht natürlich auch Zeit. Und ich glaube, an einer anderen Stelle hätten wir natürlich energischer und auch früher in diverse Planung einsteigen müssen. Denn das ist natürlich schon das Problem, dass gerade der Prozess von der Identifizierung eines Baulands, bis hin zur Realisierung, bis zur Baureifmachung, bis dann schlussendlich da Wohnungen, Häuser oder was auch immer drauf stehen, da vergeht natürlich eine enorme Zeitspanne. Und auch da müssen wir sagen, da müssen wir auch eigentlich schneller werden.

Die Union hat massiv die Förderung und Bevorzugung der Biolandwirtschaft auf städtischen landwirtschaftlichen Flächen kritisiert. Wie steht die FDP dazu?

Da ziehen Sie ein Stückchen auch auf die Vorlage ab, wo es darum geht ob Münster einem Zusammenschluss von Bio-Städten beitritt oder nicht. Auch wir werden diese Vorlage ablehnen, weil wir das durchaus kritisch sehen. Biolandwirtschaft ist wichtig, aber auf der anderen Seite, die die konventionelle Landwirtschaft betreiben, machen das ja nicht schlecht. Auch da gibt es sehr, sehr verantwortungsvolle… Oder der überwiegende Teil ist da sehr verantwortungsvoll beim Thema Landwirtschaft. Und insofern die Fokussierung hier jetzt auch auf rein Bio und auch die Bevorzugung am Kriterium Bio halten wir für nicht richtig und deswegen lehnen auch wir das ab.

Könnte das nicht auch eine Sogwirkung sein, dass die Leute umstellen auf Bio?

Glaube ich nicht, aber ich will ja die Menschen auch nicht umerziehen, sondern ich möchte denen ja auch Wahlfreiheit geben. Also es ist nicht mein Ansatz, die Leute dahin zu drängen nur noch Bio zu kaufen. Mein Ansatz ist vielmehr, auch in der konventionellen Landwirtschaft Standards zu entwickeln, mit denen man gut Landwirtschaften kann und trotzdem auch den Belangen des Klimas, des Umweltschutzes und des Tierwohls beispielsweise auch gerecht zu werden.

Also, so zu sagen, Biolandwirtschaft light, oder…?

Nein. Bio ist ja noch ein besonderes Gütesiegel. Ich glaube aber auch unterhalb dessen, kann es Standards geben, die an der Stelle ausreichend sind.

Gut, Sie wollen die vergessene Mitte in der Opposition darstellen. Die würde bei der Koalition untergehen. Vertreten die Koalitionsparteien nicht auch die Mitte, nur eine andere? Die Grünen sind doch selber längst in der bürgerlichen Mitte angekommen.

Ja, das sagen Sie. Da sage ich was anderes. Die Gefahr von Politik ist ja immer, dass man ein Stück weit auch Politik, insbesondere sozusagen für die Ränder macht – für die Älteren, für die Schwächeren, für die Ärmeren –, was auch völlig in Ordnung ist. Aber nichtsdestotrotz, am Ende des Tages muss man auch immer gucken, das muss ja finanziert werden. Das was man schwächeren Gruppen geben möchte, wo ich voll hinter stehe, müssen halt andere auch erwirtschaften. Und diese Mitte meine ich damit.

Damit meine ich zum Beispiel eben auch die junge Familie mit zwei Kindern, mit einem Kind, wo beide voll berufstätig sind. Die brauchen einen Kitaplatz, die brauchen eine gute Schulbildung für ihre Kinder, damit sie sorgenfrei auch arbeiten können. Die brauchen aber eben auch Wohnraum hier in unserer Stadt. Sei es in Form einer klassischen Wohnung oder eines Ein- oder Mehrfamilienhauses. Da machen wir halt in Summe einfach zu wenig und ich finde, wir fokussieren uns sehr stark auf diejenigen, die Hilfe brauchen, denen müssen die Hilfe auch geben, aber wir dürfen trotzdem dabei eben die starke Mitte nicht vergessen. Und das umso mehr, als dass eben auch gerade diese Mitte stark von der Pandemie belastet ist.

Was werden Sie als eigene Schwerpunkte in Ihre eigene Oppositionsarbeit in dieser Rats-Periode bieten?

Wir haben ja schon als erste Fraktion, in diesem Kalenderjahr den Schwerpunkt beim Thema Digitalisierung für Schulen gemacht.

Wir haben auch im Wahlkampf das Thema Mobilität als ein Schwerpunkt für uns identifiziert. Wir werden da auch weiter konstruktiv mitarbeiten und Wege und Konzepte aufzeigen, wie wir die Mobilität unserer Stadt dahingehend verändern können, dass die Innenstadt beispielsweise autoärmer wird. Aber auch gerade in den Stadtteilen, wenn ich mir das angucke, beim Thema Eschstraße in Wolbeck, wo ich wohne. Man kann nicht einfach einen Ortskern abschließen und gleichzeitig eine notwendige Umgehungsstraße nicht bauen.

Also dieses sehr ideologische, das werden wir nicht mitmachen. Und da werden wir auch immer die Stimme der Vernunft sein und bleiben und auch den Finger in die Wunde legen und sagen, dass man bei allen berechtigten Interessen des Klimaschutzes, des Umweltschutzes, des Lärmschutzes, wenn es um das Thema Auto geht, aber den Fokus auch nicht verlieren kann. Und ganz häufig, und insbesondere beim Thema Mobilität, ist die Reihenfolge entscheidend. Welche Maßnahme treffe ich wann, damit ich am Ende das Ziel erreiche? Und da scheint es mir gerade in der Koalition noch großen Nachholbedarf zu geben.

Werden wir sehen. Ich bedanke mich für dieses Gespräch.

Sehr gerne.

Jan Große Nobis

Jan ist Ureinwohner Münsters. In Münster geboren, ging er hier zur Schule, studierte Chemie, Geschichte und Soziologie und anderes und war in der juristischen Online-Redaktionswelt unterwegs – auch in Münster. In der Freizeit macht er antifaschistische Demo-Fotografie. Bei ostviertel.ms als Redakteur unterwegs.

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