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Glutenfrei genießen

Auch mit einer Unverträglichkeit noch das genießen können, was einem wirklich schmeckt – das ist das Ziel, was Vanessa Dartmann und Saskia Deim mit ihrem eigenen Unternehmen “nullpunkt” verfolgen. Wichtig ist ihnen dabei besonders der biologische, regionale Anbau der Zutaten und die Qualität der Produkte. Warum die Themen Nachhaltigkeit und Sozialverträglichkeit bei “nullpunkt” an erster Stelle stehen und wie die Gründung des Unternehmens zustande gekommen ist, erzählt Vanessa uns heute.

Wer seid ihr und wie ist euer Unternehmen „nullpunkt“ entstanden?
Ich bin Vanessa Dartmann und bin von Haus aus Designerin, wohne hier schon lange in Münster und Sassi (Saskia) habe ich durch Bennett, meinen Mann, kennengelernt. Saskia ist gelernte Sozialarbeiterin. Sie hat die Autoimmunerkrankung Hashimoto und vor ca. drei Jahren hat sie dann die Empfehlung bekommen sich glutenfrei zu ernähren, um die Symptome der Krankheit zu lindern und da ist erst mal eine Welt für sie zusammengebrochen. Zu der Zeit habe ich meine Ernährung aus gesundheitlichen Gründen ebenfalls umgestellt. Wir haben uns beide intensiv mit dem Themen Ernährung und Gesundheit auseinandergesetzt. Ernährung hat Einfluss auf unsere Lebensqualität und Gesundheit und kann bei Trägern Beschwerden auslösen, aber auch heilen. Sassi wollte mit ihrer Glutenunverträglichkeit nicht darauf verzichten, spontan essen zu gehen oder auch mal einfach eine Pizza zu genießen. Unser Lieblingspizzabäcker ist Carlo von Casa Pazzi auf der Wolbecker, bei dem waren wir häufig Pizza essen und dann war es für Sassi auf einmal nicht mehr möglich einfach irgendwo hinzugehen und etwas zu essen. Sie hat angefangen sich durch die Ladenzeilen zu probieren und hat halt leider nichts passendes mehr gefunden. Sie musste sehr aufpassen, was sie eigentlich zu sich nimmt. Da hat sie ganz lange selber an einem Pizzateig herumgebastelt und irgendwann hat Carlo gesagt: „Wow der Pizzateig funktioniert mega gut glutenfrei und wir müssen da was draus machen“. Dann haben wir Freunde probieren lassen und mit Fragebögen verschiedene Rezepturen abgefragt. Alles hat sich immer weiterentwickelt und während Corona hatten wir mehr Zeit dafür. Wir haben beim Ordnungsamt die Fortbildung gemacht, um mit Lebensmitteln zu arbeiten und haben angefangen, Labortests machen zulassen, was alles so dazu gehört. 2021 hatten wir dann glaube ich das Produkt rausgebracht und so hat das Ganze angefangen. Wir sind mit Herzblut dabei und sind selber auf die Märkte zugegangen, im Gespräch mit Cafés, mit anderen Betroffenen und das Verrückte ist, dass man so viele trifft, die ähnliche Probleme haben und für die man dann eine Alternative schafft. Was mir auch total wichtig ist, ist, dass dieses Kooperative aus der Mitte kommt, dass wir wissen wo die Zutaten und unser Produkt herkommen, dass wir das gemeinsam machen und dass wir ein Unternehmen schaffen, welches sozialverträglich ist. Man könnte sagen, das liegt gerade im Trend. Aber es zeigt doch ganz klar, dass es uns allen ein Bedürfnis ist und wir ernsthaft, ohne leere Versprechen einen Unterschied machen möchten. Das lösen wir mit „nullpunkt“ ein. Natürlich merken wir, dass es eine große Herausforderung ist. Das merkt man an den Preisen, das merken wir auch an den Margen, aber das ist unser Anspruch.

Was ist euer persönlicher Werdegang bzw. was habt ihr vorher gemacht?
Ich bin in Münster zum Adolph-Kolping-Berufskolleg gegangen mit dem Schwerpunkt als gestaltungstechnische Assistentin. Dann habe ich einen Bachelor und Master in Kommunikationsdesign gemacht und danach freiberuflich gearbeitet. Anschließend war ich in einer Werbeagentur am Hafen tätig und bin dann zur Universität gewechselt. Dort habe ich ein Innenhaus-Designservice aufgebaut, mittlerweile mit reduzierten Stunden, um mehr Zeit für „nullpunkt“ und freie Projekte zu haben. Zum Beispiel gemeinsam mit Bennet (meinem Mann, Künstler) habe ich Upcycling-Art-Collagen-Wandgestaltung entwickelt und wir setzen diese für Kunden um. Ich habe zudem eigene Grafikprojekte und bin auf Festivals mit Kunst und Organisatorischen Aufgaben aktiv und dann kam natürlich seit 2021 „nullpunkt“ dazu.
Sassi ist gelernte Erzieherin, hat in verschiedenen Kindergärten gearbeitet und hat dann soziale Arbeit studiert. Sie arbeitet heute bei der Lebenshilfe als Koordinatorin für Schulbegleiter*innen. Jetzt ist sie seit Ende Januar im Mutterschutz und hat am 11. März die kleine Tonia geboren. Jetzt ist sie erstmal Mama und wird zu gegebener Zeit wieder bei „nullpunkt“ einsteigen.

Was genau bietet „nullpunkt“ an?
„Nullpunkt“ bietet glutenfreie Mehlmischungen an, welche einfach und gelingsicher zu verarbeiten, für Menschen mit und ohne Unverträglichkeiten bedenkenlos zu genießen und dabei einfach lecker sind. Regional und fair verarbeitet, beziehen wir unsere Zutaten in Bio- und Demeterqualität möglichst regional aus Deutschland und die Zutaten, die hier nicht wachsen, wie Tapiokastärke, von zertifizierten Anbietern. Unser erstes Produkt ist der Pizzateig, der ist super schnell und einfach zuzubereiten. Da kommen Öl und Wasser rein und dann knetet man zwei Minuten. Wir machen das meistens ohne Hefe, es funktioniert aber auch mit. Der Teig kann dann einfach ausgerollt, belegt und verarbeitet werden. Der Pizzateig ist Histaminarm und das Schöne ist, dass man ihn ebenfalls als Flammkuchen benutzen kann. Dann ist das Bananenbrot dazugekommen. Bananenbrot wird ja seid einiger Zeit, zurecht, richtig gefeiert und da haben wir uns gefragt: „Gibt es so etwas auch glutenfrei?“. Sassi ist diejenige von uns beiden, die die Rezepte macht. Glutenfreie Backwaren sind nicht einfach, da der Gluten den Kleber im Brot oder Kuchen darstellt und dieser ohne Gluten einfach auseinander fällt. Daher bedarf es sehr ausgewogener Rezepte und spezieller Zutaten und am Ende soll es gut schmecken. Dabei sind die Mengenanteile der einzelnen Mehle entscheidend, zum Beispiel, wie beim Bananenbrot, die Gewürzmischung. Generell handelt es sich bei unseren Produkten nicht um simple Backmischungen, sondern um hochwertige Mehlmischungen, die eine Basis für flexible Weiterverarbeitungen darstellen. Das Dritte unserer Produkte ist der Mürbeteig, den man zu Keksen verarbeiten kann oder auch zu Quiche und Tarte, also sowohl herzhaft als auch süß. Ich ernähre mich vorwiegend vegan und mit Margarine und Leisamenersatz kann man damit super vegane Rezepte umsetzen. Wir bieten außerdem noch alle Produkte als Gastro-Mischungen an. Das sind dann 25 Mischungen in einem großen Paket, insgesamt ca. 5-6 Kilo Pakete.
Diese drei Produkte stellen im Moment unser Sortiment dar und im Hintergrund entwickeln wir fleißig weiter.

Wo produziert ihr eure Produkte und woher bezieht ihr die Lebensmittel dafür?
Das ist total spannend, das haben wir nämlich noch gar nicht berichtet. Wir kooperieren seit neustem mit den Alexianer Behindertenwerkstätten in Dülmen. Wir haben letztes Jahr eine Produktionsstätte gesucht, damit wir nicht mehr als alleinige Manufaktur für alles verantwortlich sind und wollten aber regional bleiben und sicherstellen, dass es sozialverträglich ist. Dazu kommt, dass wir wissen wollten, welche Menschen das produzieren und unter welchen Bedingungen und das ist eben gar nicht so einfach. Deshalb sind wir auf die Alexianer zugegangen und die haben gesagt: „Oh Gott, glutenfrei können wir nicht, alles super kompliziert und schwer umzusetzen“. Wir haben uns deswegen damit auseinandergesetzt und haben selber ein Qualitätspapier geschrieben. Letztendlich waren sie sehr interessiert und da es ein total wachsender Markt ist, konnten wir die Kooperation doch noch umsetzen. Zudem gibt es Studien dazu, dass Menschen mit Downsyndrom sich eher glutenfrei ernähren sollten und so ist es für sie auch ein wichtiges Thema. Mit den Alexianern hatten wir dann im letzten Jahr mehrere Treffen und zusammen haben wir anschließend ein Qualitätsmanagament erstellt. Das wird benötigt, wenn man Lebensmittel herstellen will, da man garantieren muss, wie die Abläufe sind und für glutenfreie Produkte gelten nochmal besondere Regeln. Dabei hat uns Constantin, der Mann von Saskia, unterstützt, da er im Anlagenbau für Chemieunternehmen arbeitet und sich viel mit so etwas auseinandersetzt. Er hat uns dabei geholfen, zu gucken, was wir eigentlich brauchen und wie wir das umsetzen können. Jetzt gibt es in Dülmen eine Produktionsstraße, wo glutenfrei produziert wird. Wir dachten erst, dass die Umsetzung ewig dauert und hatten auch ein bisschen Sorge, weil wir wegen Saskias Schwangerschaft vorankommen mussten. Im November haben die Alexianer dann aber gesagt, dass sie im Januar anfangen können. Sie haben sich dann direkt am 10.Januar gemeldet und gesagt: „Okay, wir machen jetzt die Probeabfüllungen und das Qualitätspapier haben wir für uns nochmal so ausgelegt, dass wir es mit unsere Mitarbeitenden umsetzen können“. So hatten wir dann im Januar die Probeabfüllungen und im Februar auch schon alle Produkte fertig abgefüllt. Das Schöne ist, die Alexianer kümmern sich komplett um unseren Online-Versand und ebenfalls um die Bestellungen hier in Münster. Somit haben wir damit einen super Partner gefunden, der all diese Sachen für uns umsetzt.
Unsere Mehle beziehen wir aus Süddeutschland. Die sind von Bauckhof und haben reine Bio- und Demeterqualität. Wir hatten schon einmal die Vision, ob man nicht hier sogar irgendwann mit Mühlen arbeiten kann und haben geschaut, was hier so angebaut wird. Dabei ist uns aufgefallen, dass vieles gar nicht überall angebaut wird, also regional hin oder her, es ist hier in der Region gar nicht zu bekommen. Außerdem haben wir zum Beispiel Tapiokastärke in unserem Pizzateig drin, welche in Vietnam angebaut wird. Diese ist auch Bio zertifiziert, aber es ist oft gar nicht so einfach, dort mit den Händlern in den Kontakt zu treten. Wir nehmen noch gar nicht große Mengen ab, um transparente Lieferketten zu haben, aber wir arbeiten stetig daran. Es gibt ja mittlerweile dieses Prinzip, dass man über einen QR-Code hinten die Lieferketten offen legt und für uns ist das auch ein super spannendes Thema, welches wir auch auf Dauer durchsetzen möchten.

Habt ihr hauptsächlich Kunden aus dem Ostviertel oder kommen eure Kunden überall aus Deutschland?
Ich glaube, es kommen schon viele Kunden von uns aus dem Viertel, weil wir dort bei drei REWE vertreten sind, am Hansaring, Hansator und bei Wielogorski. Daran sieht man auch unseren Wirkungskreis ganz gut. Zudem bieten Casa Pazzi und das Zweischneidige Pferd unseren Pizzateig an. Das wird auf der Karte nicht aktiv beworben, aber das ist auch okay für uns, denn es ist quasi unser Wunsch, dass Restaurants unsere Produkte einfach für sich nutzen können. Wir haben darüber hinaus durch Instagram und auch Kontakte nach Hamburg eine größere Reichweite, sodass wir aus ganz Deutschland Bestellungen bekommen, aber der Bekanntheitsgrad ist in Münster aktuell natürlich am größten.

Habt ihr noch weitere Pläne für die Zukunft?
Ja, wir wollen auf jeden Fall das Produktsortiment erweitern, das hatte ich ja schon angesprochen. Ein großer Traum wäre irgendwann ein Restaurant glutenfrei und vegan zu eröffnen. Zudem würden wir am liebsten vielleicht auch irgendwann hier produzieren und mit noch mehr Cafés kooperieren. Wenn jemand Interesse hat, das auszuprobieren, helfen wir auch immer gerne bei der Umsetzung mit. Viele, mit denen ich gesprochen habe, haben gesagt: „Oh, ich will keine Backmischung“, aber ich sage dann immer, dass es eigentlich gar keine Backmischung ist, sondern eine Kombination aus hochwertigen Zutaten, die sie selber wahrscheinlich genauso wählen würden. Es handelt sich nur um eine Mehlmischung und ihr backt trotzdem noch selber. Die Umsetzung im Café oder Restaurant selbst lässt sich gut lösen. Wenn man zum Beispiel glutenfreie Produkte morgens als erstes backt, alle Flächen abwischt und mit sauberen Materialien arbeitet, dann sollte es keine Probleme geben. In einer Vitrine kann man das glutenfreie Gebäck entweder getrennt oder nach ganz oben stellen, weil sich das Mehl immer nach unten hin absetzt. Damit hat man schon ganz viel Kontamination verhindert und man hat ein tolles Produkt, was man selbst zubereiten und anbieten kann. Vielleicht arbeiten wir auch in der Zukunft mit einer Bäckerei zusammen, die unsere Sachen dann herstellt, aber das sind alles noch unausgesprochene Pläne.

Habt ihr ein Lieblingsprodukt und wenn ja wofür verwendet ihr es am meisten?
Ich muss momentan feststellen, dass ich immer, wenn ich mich mit jemanden treffe oder etwas vorhabe, ein Bananenbrot backe, weil es irgendwie super einfach ist und total schnell geht. Selbst Menschen, die nicht so gerne Bananen mögen sagen: „Das schmeckt ja gar nicht so nach Banane, das geht ja sogar als Kuchen durch.“ Das Gute ist, dass es trotzdem nicht so ultra süß ist. Generell finde ich, ist es ein super Gebäck, das man immer zum Kaffee & Kuchen mitbringen kann. Der Pizzateig ist natürlich auch ein All-Time-Favourite.

Was ist das Ziel hinter dem Unternehmen bzw. was wollt ihr damit erreichen?
Das Ziel ist eigentlich, Menschen mit Unverträglichkeiten oder besonderen Ernährungswünschen eine Ernährung zu ermöglichen, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Langfristig wäre es cool, wenn es irgendwann flächendeckend überall ein glutenfreies Gericht gibt, so wie es mittlerweile schon bei veganen Gerichten ist. Ein weiteres Ziel ist es, ein Bewusstsein für Zutaten und Inhaltsstoffe, aber auch für Produktionswege zu schaffen. Also, dass man sagen kann: „Ich wähle dieses Produkt bewusst, weil ich weiß, was dahinter steckt, wie es hergestellt wurde und dass es fair gehandelt wurde.“ Wir möchten auf die Gemeinschaft gucken und darauf, dass das, was wir gemeinsam in unserem Umfeld erstellen, Sachen sind, die von Herzen kommen. Genauso wie wir behandelt werden wollen, sollte auch alles um uns herum behandelt werden. Ein weiterer Punkt, der in letzter Zeit zu kurz gekommen ist, ist, dass wir mehr aufklären und in den Austausch treten möchten. Wir waren letztes Jahr auf Messen und auch auf Treffen mit Betroffenen und so etwas hilft einem unglaublich, dieses Wissen weiterzugeben. Warum wir zudem Bio so wichtig finden, ist, dass unser Körper durch ganz viele Umweltstoffe ständig belastet wird, durch Pestizide und so weiter. Es gibt mittlerweile auch Studien, die sagen, dass Glutenunverträglichkeiten immer mehr steigen und dass es vielleicht gar nicht das Gluten ist, sondern eben auch die Pestizidbelastung des Weizenmehls, aber das ist natürlich noch ein ganz anderes Thema.

Ein Beitrag von Linn Stenert und Paula Brieden

Linn Stenert

Bundesfreiwillige im Bennohaus seit September 2022

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