Sonntagnachmittage können schon mal sehr trist sein, vor allem wenn man 17 ist und in der nordfriesischen Einöde lebt. Zum Glück war das bei mir im Jahre 1999, und wir hatten uns endlich nach etlichen Jahren als gefühlt einziges Fleckchen Erde ohne Kabel und mit maximal sieben (die längste Zeit fünf) TV-Sendern eine Satellitenschüssel zugelegt. Also hinein ins Zeitalter dreistelliger Programmplätze!
Doch trotz der Vielfalt bunter Bilder aus (fast) aller Welt, blieben die Sonntagnachmittage zunächst trist. Denn wie sich herausstellte, schienen alle empfangbaren Fernsehsender sich abgesprochen zu haben, ihr Programm an diesem Tag besonders unattraktiv zu gestalten. Selbstverständlich erlag ich dennoch nicht der Versuchung, die Röhre auszuschalten und mich hinaus an die friesische Luft (ganzjährig bewölkt, 14 Grad, Nieselregen) zu begeben. Eher sollte die gesamte Programmpalette zwanzig Mal durchgezappt werden! Und da geschah es: Auf dem Sender, den zu meiden ich von den übrigen sechs Tagen in der Woche bereits sehr gewohnt war (RTL2), erschien ein sakkotragender Mann, den ich sonst nur als uniformpyjamatragenden Commander William T. Riker aus “Star Trek: The Next Generation” kannte. Einer meiner Stars zwischen den Sternen!
Jonathan Frakes stand in einem mysteriös gestalteten Studio mit Nebel, Kerzenleuchtern, alten Büchern und allem, was so dazugehört. Dort setzte er sein charmantestes Grinsen auf und präsentierte in “X-Factor: Das Unfassbare” übernatürliche, kaum zu glaubende und tatsächlich meist gelogene Geschichten, die in etwa zehnminütigen Einspielfilmen erzählt wurden. Riker – äh, ich meine Frakes – war Herr und Hüter über die Wahrheit: In jeder Ausgabe wurden fünf dieser Mystery-Geschichten erzählt, einige von ihnen waren frei erfunden, andere beruhten zumindest auf wahren Ereignissen. Es war an uns Zuschauern zu ergründen, welche Geschichten wahr und welche falsch waren, und immer am Schluss der Sendung gab es dann die große Auflösung. Frakes verkaufte den ganzen Vorgang als äußerst schicksalträchtige Angelegenheit und erinnerte uns regelmäßig daran, dass der Grat zwischen Wahrheit und Illusion ein schmaler sei und wir unseren Augen nicht zu sehr trauen dürften.
Ich will nicht lügen: Ich erkannte schon damals schnell, dass die Sendung wirklich nicht besonders gut war. Die eingespielten Filmchen waren schlecht produziert, die Darsteller meist grottig und die Synchronisation noch schlimmer. Die erlogenen Geschichten waren zum größten Teil Varianten hinlänglich bekannter urban legends, und bei den angeblich wahren Stories wurde ihr Wahrheitsgehalt damit begründet, dass “etwas ganz Ähnliches” z.B. in den frühen Fünfzigern irgendwo in Texas passiert sein soll. Manche der gezeigten Geschichten waren auch einfach langweilig und kaum mysteriös. Jonathan Frakes blähte die Bedeutung des Gesehenen aber bis zur Unkenntlichkeit auf, nur um dann durch ein schlechtes Wortspiel am Schluss mit einer Nadel hineinzupieksen, die die ganze heiße Luft wieder rausließ. Die Sendung war kitschig, klischeebeladen und irgendwie schrullig.
Aber das machte nichts. X-Factor war trotzdem extrem unterhaltsam! Trotz und manchmal gerade aufgrund seiner Schwächen. Teilweise war es unfreiwillig komisch, an manchen seltenen Stellen dann ja doch ganz gut erzählt. Und das Mitraten, ob die Geschichten denn nun wahr oder falsch waren, fand ich – ich will auch hier nicht lügen! – trotz allem spannend. Außerdem gefiel mir 17-jährigem, überheblichem Klugscheißer die Vorstellung, wie so mancher amerikanischer white trash Bauklötze über diese “unglaublichen” Geschichten gestaunt und sich über ihren Wahrheitsgehalt den Kopf zerbrochen haben mag. Meine Sonntagnachmittage waren jedenfalls gerettet, zumal RTL2 gemäß seines Sendekonzepts nicht müde wurde, die Folgen endlos zu wiederholen.
In Erinnerung blieb trotzdem vor allem er: Jonathan Frakes mit smartem Grinsen im nebligen Studio. (Vergessen wir hier mal die erste Staffel, durch die James Brolin führte und die ich erst Jahre später sah!)
Und nun darf ich Jonathan Frakes sein: In Promenade DELUXE werden wir solche Sendungen aus der Vergangenheit, an die wir noch gute Erinnerungen haben, wiederaufleben lassen, und ich habe das große Privileg, für Euch noch einmal “X-Factor: Das Unfassbare” zu moderieren. Ich bin mir der Verantwortung, die damit einhergeht, sehr bewusst, und ich hoffe, ich werde auch manchen von Euch mit diesem einmaligen Auftritt den Sonntagnachmittag retten!
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