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SofA: Atomausstieg zu Ende gedacht

Die Gruppe SofA – das heißt ausgeschrieben „Initiative für den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie“ – setzt sich für die Vollendung des Atomausstiegs ein. Man meint, der wäre schon da? Aber weit gefehlt. In Deutschland werden zwar die kommerziellen Atomreaktoren sukzessive abgeschaltet – die letzten Atommeiler sollen 2022 mit den Kernkraftwerken Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland vom Netz gehen.

Damit ist aber nicht das Ende der Atomindustrie in Deutschland beschlossen: Die Herstellung von Brennelementen wird weiter betrieben, der anfallende Atommüll weiter exportiert, die Forschung steht nicht still und der Verbleib des bisher angefallenen Atommülls ist nicht geklärt.

Die Initiative SofA gibt es seit 2005. Ihr Arbeitsschwerpunkt sind die Atomanlagen in der Region. Wie das Atommüllzwischenlager in Ahaus, die Brennelementefabrik in Lingen und das Kernforschungszentrum Jülich. Insbesondere die Urananreicherungsanlage URENCO in Gronau und Almelo spielt eine große Rolle in der politischen Arbeit von SofA.

Urananreicherung und Atommüll in und aus Gronau

Die Urananreicherungsanlage (UAA) in Gronau reichert natürliches Uran soweit an, dass es für die Herstellung von Brennelementen für den Betrieb von Atomreaktoren geeignet ist. Dabei wird der Anteil des spaltbaren Uran-235 von circa 0,7 Prozent auf circa 3 bis 5 Prozent erhöht. Ein Teil wird in der Brennelementefabrik in Lingen weiterverarbeitet, der größte Teil aber exportiert.

Grundlage der Urananreicherung ist Uranhexafluorid (UF6). Dieser chemische Stoff ist ein äußerst aggressiver Stoff, der schon bei Berührung mit Luftfeuchtigkeit tödliche Flusssäure bildet. Denn Flusssäure ist ein Kontaktgift. Sie wird von der Haut sofort resorbiert. Verätzungen tieferer Gewebeschichten und sogar der Knochen sind möglich. Für den Menschen kann dies mit multiplem Organversagen tödlich verlaufen. „Deshalb sind Transport und Verarbeitung schon aus chemisch-toxischer Sicht besonders gefährlich“, so die Initiative auf ihrer Website.

URENCO betreibt insgesamt vier Urananreicherungsanlagen: in Gronau, in Almelo (Niederlande), Capenhurst (Großbritannien) und Eunice (New Mexico/USA). Zusammen beliefert URENCO nach eigenen Angaben ein Drittel des Weltmarktes. URENCO gehört zu jeweils einem Drittel dem britischen und niederländischen Staat, das deutsche Drittel teilen sich EON und RWE zu gleichen Teilen. Die deutsche Regierung hat ein Mitsprache- und Kontrollrechte, da die Zentrifugen-Technologie der Urananreicherungsanlagen militärisch brisant ist.

Die Zentrifugen-Technologie sei der „einfachste Weg zur Atombombe“, so der Chef der Entsorgungskommission der Bundesregierung, Michael Sailer. Mit dieser Technologie müsse lediglich der Anteil des spaltbaren Uran-235 noch weiter erhöht werden, also stärker angereichert werden. Dagegen spreche bisher nur ein Verbot der drei Regierungen.

Wie gefährlich die Technologie ist, zeigt ein Diebstahl bei URENCO Almelo durch den pakistanischen Atomwissenschaftler Dr. Abdul Kadir Khan in den 1970er Jahren: Die Zentrifugen-Technologie landete dadurch bei der pakistanischen Regierung und später auch im Iran und in Nordkorea. Khan wurde so zum „Vater der pakistanischen Atombombe“.

Aus der Urananreicherung wird auch angereichertes Uran nach Lingen transportiert und zu Brennelementen verarbeitet. Dabei werden diese von dort auch an besonders umstrittene Atommeiler mit Rissen oder zahlreichen Störfällen in Doel, Fessenheim und Cattenom geliefert. Diese belgischen und französischen Meiler stehen meist sehr nah an der belgisch-deutschen bzw. französisch-deutschen Grenze.

Protest gegen die UAA seit 1986

Der akute Protest der Initiative SofA richtet sich zumeist gegen Uranmülltransporte auf der Scheine. Es finden aber auch solche Transporte per LKW auf der Straße statt.

Begonnen hat der Protest gegen die UAA aber schon 1986 mit den jeden ersten Sonntag im Monat stattfindenden Sonntagsspaziergängen an der UAA Gronau, der von der lokalen Gronauer Initiative „Arbeitskreis Umwelt Gronau“ getragen wird. Die bislang größte Anti-Atom-Demo in Gronau fand 2011 mit circa 15.000 Teilnehmer*innen statt. Daneben gibt es noch den regelmäßigen Ostermarsch Gronau und oft werden im Münsterland, wenn Atommülltransporte stattfinden, von einzelnen Atomkraftgegner*innen Abseilaktionen durchgeführt, um den Zug wenigstens kurzfristig zu stoppen.

Seit 2006 gibt es eine Zusammenarbeit mit befreundeten Gruppen aus Russland und den Niederlanden. In einer gemeinsamen russisch-niederländisch-deutschen Kampagne sollen die Uranmüllexporte von Gronau über die Niederlande nach Russland endgültig gestoppt werden. Durch den fortwährenden Protest konnten die Uranmülltransporte auf der Schiene für zehn Jahre, von 2009 bis 2019 schon einmal gestoppt werden.

Bildergalerie 1: Protest gegen Atomzug: VermummungsGEbot in Münster am 6. April 2020

SofA organisiert seit der Wiederaufnahme der Uranmülltransporte 2019 zu jedem Atommüllzug, der aus der UAA Gronau durch Münster fährt, Mahnwachen – meistens am Münsteraner Hauptbahnhof.

Im November 2019 wurde durch eine Abseilaktion von Umweltaktivist*innen bei Burgsteinfurt im Münsterland ein Uranmülltransport für sieben Stunden verzögert. Im Dezember konnte ein Uranmüllzug zwischen Münster-Häger und Münster-Kinderhaus durch eine erneute Abseilaktion von der Brücke der Autobahn A1 für zwei Stunden aufgehalten werden.

Bildergalerie 2: Zweite Mahnwache gegen Atomzug in Münster am 27. April 2020

Auch zu Zeiten der Corona-Pandemie wird gegen die Atommülltransporte protestiert. Die Mahnwachen wurden vom Hauptbahnhof an den Alfred-Krupp-Weg verlegt (siehe unsere Bildergalerien und unseren Videobeitrag: „Die erste Versammlung mit VermummungsGEbot“.

Trotz der Corona-kompatiblen Planungen (nur 15 Teilnehmer*innen, Anstandsregeln, Mund- und Nasenschutz) für die Mahnwachen musste SofA zunächst die Durchführung der Mahnwachen juristisch gegen die Stadt durchsetzen (siehe auch Videobeitrag).

Fahrraddemo durch Münster

Am 7. Juni fand eine Fahrraddemonstration durch Münster statt. Es ging vom Alfred-Krupp-Weg zum Hauptbahnhof und dann ins Erphoviertel zum Platz vor dem „Kling Klang“. Abschluss war auf dem Hafenplatz. Die Hauptkundgebung fand direkt vor dem Eingang der SPD Münster am Hauptbahnhof statt. Schließlich ist die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD, Münsteranerin), auch für die Klimapolitik der Bundesregierung mitverantwortlich..

Im Blickpunkt der Demonstration standen das neu in Betrieb genommene Kohlekraftwerk „Datteln IV“, natürlich die UAA Gronau mit den Uranmüllexporten und das AKW Lingen. Zu allen drei Standorten gab es Reden, die die Problematiken jeweils thematisierten. So steht das rechtliche Fundament des Kohlekraftwerks „Datteln IV“ auf sehr dünnen Beinen. Etliche Klagen gegen bau- und Betriebsgenehmigungen stehen noch aus. Und unsinnig ist aus Sicht der Demonstrant*innen in Zeiten des Kohleausstiegs ein Neubetrieb eines Kohlekraftwerks so oder so. Ebenso sei das AKW Lingen nun nach einer kurzen, abgespeckten Revision wieder ans Netz gegangen. Obwohl ein neuer Riss im Primärkreislauf gefunden wurde.

Mit den weiteren Stationen der Demonstration wollte das Bündnis aus „SofA“ und „Students for Future“ deutlich machen, dass die Uranmülltransporte durch Innenstädte wie Münster sehr gefährlich sind. Schließlich könne bei Unfällen mit dem Uranhexafluorid, das transportiert wird, Flusssäure entstehen. Die sich in feuchter Luft schnell ausbreiten würde und die Menschen somit gefährden würde. Effektive Sicherheitsvorkehrungen gäbe es nicht. Die Materialien zum Schutz der Menschen könnten gar im Gefahrengebiet lagern.

Unterstützt wurde die Demonstration durch ein Grußwort der russischen Umweltorganisation Ecodefense zu den Uranmüllexport dorthin und den Folgen für Russland.

Bildergalerie 3: Fahrraddemo gegen “Datteln IV”, AKW Lingen und die Uranmüllexporte

Die politische Dimension

Dass die Urananreicherung aus dem Atomausstieg ausgespart wurde, stieß immer wieder auf Kritik. Versuche die Urananreicherung zu beenden und ebenso die Herstellung von Brennelementen in Lingen und den dazugehörigen Exportstopp durchzusetzen, scheiterten oft. Zuletzt im März 2019:

Vergangene Woche hat der Bundestag mit den Stimmen der GroKo, aber auch von FDP und AFD, zwei Anträge von Grünen und Linken zur Stilllegung der Urananreicherungsanlage Gronau und der Brennelementefabrik Lingen sowie zu einem Exportstopp für die Uranbrennstoffe abgelehnt. Leider war dies zu erwarten, nachdem schon der Umweltausschuss ähnlich gestimmt hatte. Nach Recherchen der taz könnte diese Entscheidung aber von offenbar gefakten Stellungnahmen an den Umweltausschuss beeinflusst worden sein.

Protest geht weiter

Der Ausstieg aus der Stromherstellung aus Atomkraft ist zwar schon lange beschlossene Sache. Aber Uran wird weiter angereichert, der Müll exportiert und Brennelemente hergestellt und eben auch exportiert. Die Arbeit für SofA ist also noch lange nicht beendet.

Die Initiative im Netz:

Über die von Matthias Eickhoff im Video genannten Aktionen der Bürgerinitiative Ahaus gegen den Castor-Transport 1998 nach Ahaus hat die WDR Lokalzeit Münsterland am 15. März 2018 in einem Rückblick berichtet. Und damals berichtete die Tagesschau am 19., 20. und 21. März 1998.

Jan Große Nobis

Jan ist Ureinwohner Münsters. In Münster geboren, ging er hier zur Schule, studierte Chemie, Geschichte und Soziologie und anderes und war in der juristischen Online-Redaktionswelt unterwegs – auch in Münster. In der Freizeit macht er antifaschistische Demo-Fotografie. Bei ostviertel.ms als Redakteur unterwegs.

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