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Kriegerdenkmäler: Es muss eine würdige Gegenkultur her!

Eine Ratsvorlage sieht vor, dass gerade einmal fünf Kriegerdenkmäler Informationstafeln bekommen sollen. Das ist unserem Kommentator Jan Große Nobis zu wenig. Seine Forderung: Es muss eine aktive Gegenkultur geschaffen werden:

Seit den 1980er-Jahren sind sie umstritten. Seit zwei Jahren wurde unter dem Dach der Stadt Münster diskutiert. Nun soll die Diskussion einen Abschluss finden. Der Antrag von Die Linke für eine museale Aufbereitung der historischen Kriegerdenkmäler sowie der Antrag der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen für einen Skulpturen-Wettbewerb für Gegendenkmäler sind damit vom Tisch. Wieder soll laut Ratsvorlage für Mittwoch, den 24. Juni 2020, nicht offensiv mit dem Thema Revanchismus, Kriegsverherrlichung und Nationalismus umgegangen werden. Nur einige Denkmäler sollen Informationstafeln bekommen. Bildungsangebote soll es geben. Erst nach fast vierzig Jahren sollen die Gedenkplatten des AKAFRIK am Train-Denkmal angebracht werden.

Bisher nur am Zwinger, einem ehemaligen Gestapo-Gefängnis, wird seit Mitte der 80er-Jahre mit einem Gedenkstein und zwei Gedenkplatten der Opfer des Faschismus gedacht.

Man erinnere sich: Am Train-Denkmal wird laut Stadtarchiv mit „nationalistischen und militaristischen Zügen“ der Toten einer Nachschubeinheit aus dem Ersten Weltkrieg gedacht. Zusätzlich werden durch eigene Gedenkplatten drei tote Soldaten herausgestellt, zwei davon starben in Afrika, einer in China. In Afrika waren Freiwillige der Train-Einheit beim Völkermord an den Herero und Nama eingesetzt, in China bei der Unterdrückung des sogenannten Boxer-Aufstandes. Schon vor vierzig Jahren wollte der AKAFRIK mit Gedenktafeln an den Völkermord an den Herero und Nama erinnern. Nun soll es soweit sein. Gut, dass es endlich dazu kommen soll – beschämend dagegen ist, dass es vierzig Jahre dauern musste.

Das Dreizehner-, das Kürassier-, das Stalingrad- und das Mauritztor-Kriegerdenkmal sollen dagegen nur Informationstafeln zur Seite gestellt bekommen.

Am Dreizehner-Denkmal wird den Toten der beiden Weltkriege aus zwei Infanterie-Einheiten gedacht. Das Denkmal entstand nach dem Ersten Weltkrieg. Später wurde es ergänzt, um auch an die Toten des Zweiten Weltkriegs aus dieser Einheit zu erinnern. Diese Ergänzung enthielt aber auch den Spruch „Treue um Treue“. Der Spruch ist angelehnt an das Motto der SS „Meine Ehre heißt Treue“. Das Denkmal ist also kriegsverherrlichend und revanchistisch. Es braucht einen demokratischen Gegenpart – nicht nur eine Tafel!

Das Stalingrad-Denkmal wurde erst Anfang der 60er-Jahre erbaut. Es gedenkt der Soldaten, die in Stalingrad, dem heutigen Wolgograd, gefallen sind. Stalingrad ist das Synonym für die Wende im Zweiten Weltkrieg. Danach war das faschistische Regime auf dem Rückzug. Gut so! Gerade dieses Denkmal steht aber ebenso für absoluten Revanchismus und Kriegstreiberei! Es braucht ebenso einen demokratischen Gegenpart – nicht nur eine Tafel!

Das sogenannte Schinkel-Denkmal am Mauritztor, so genannt, weil daran viele nackte Krieger dargestellt sind, soll an die Einigungskriege von 1864, 1866 und 1870-71 erinnern. Es ist dabei aber nur ein Denkmal, das – wie aus dem Stadtarchiv hervorgeht – der „Nation als geschlossene Volksgemeinschaft“ und als Machtdemonstration dienen soll. Der damalige Oberbürgermeister sah bei der Einweihung 1909 die Aufgabe des Denkmals darin, dem Heldentod nachzueifern. 1997 wurde vom Künstler Hans Haake das Kriegerdenkmal mit einem Bretterverschlag umhüllt und ein Kinderkarussell als Gegenpart daneben gestellt. Das war mal eine passende Aktion!

Es ist eine Schande, dass die ganzen kolonialen, kriegsverherrlichenden, nationalistischen und revanchistischen Kriegerdenkmäler nicht endlich mal einen echten Kontrapunkt bekommen. Diese Denkmäler müssen in ein Museum, wie es die Linken vorschlagen. Oder: Sie müssen Gegendenkmäler bekommen, wie es die VVN-BdA vorschlägt. Oder sie müssen einfach selbst zu Gegendenkmälern gemacht werden, wie es der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer jüngst im Frühstücksfernsehen vorgeschlagen hat. Er sagt, man müsse sie „einfach hinlegen, auf dem Kopf stellen oder brechen“. Nur so zwinge man zur Auseinandersetzung mit der bitteren Geschichte.

Ein Gegenentwurf ist die Paul-Wulf-Skulptur. Sie war Teil der Skulptur Projekte 2007. Seit 2010 steht sie am Servatiiplatz. Sie gedenkt des NS-Opfers Paul Wulf. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte der Anarcho-Kommunist und Pazifist bis zu seinem Tod für die Aufklärung der NS-Verbrechen und für die Anerkennung der Opfer der NS-Zwangssterilisierung als Opfergruppe gestritten. Für diese Bildungsarbeit bekam er 1991 das Bundesverdienstkreuz. Auch sie ist Teil einer demokratischen Gegenkultur. Nur – im Gegensatz zu den unsäglichen Kriegerdenkmälern – musste für die Zukunft dieser Skulptur immens gekämpft werden. Nun endlich wird es wohl das Okay der Bezirksvertretung Mitte geben, dass sie nach der geplanten Renovierung des Servatiiplatzes an der Promenade bleiben darf.

Also lieber Stadtrat: mach‘ bitte Deine Hausaufgaben! Schließlich wurde es innerhalb der Skulptur Projekte schon oft vorgemacht. Da hat es jedenfalls schon mehrere Gegendenkmäler gegeben!

Ein Nachtrag:

Nach Produktion dieses Beitrags wurde bekannt, dass die Verwaltung der Stadt wohl die Rechnung ohne den Wirt gemacht hat: Der AKAFRIK hatte damals ohne Genehmigung der Stadt die Gedenkplatten am Train-Denkmal angebracht. Die Stadt hat sie damals entfernt, aber nicht dem AKAFRIK zurückgegeben. Sie waren lange verschollen und sind vor einem Jahr bei der Stadt wieder aufgetaucht. Die Stadt hat nun wohl ohne den Besitzer der Gedenkplatten, dem AKAFRIK, die Planungen aufgenommen, sie nun doch aufzustellen. Der AKAFRIK, so Thomas Siepelmeyer vom AK, wurde also gar nicht angefragt. Nun ist auch der AKAFRIK mit dem aktuellen Konzept der Verwaltung nicht einverstanden – auch sie sehen es als unzureichend an – und fordert die Gedenkplatten zurück. Thomas Siepelmeyer gegenüber „Münster Tube“: „Da offensichtlich die Stadt aus ihrer kolonialistischen Geschichte nicht lernen will, […] sind wir nicht mehr bereit, diese Tafel der Stadt zur Verfügung zu stellen.“ Was wird der Stadtrat nun machen?

Offenlegung: Der Kommentator ist Mitglied der VVN-BdA Münster.

Siehe auch:

Beschlussvorlage für den Rat der Stadt Münster: Umsetzung des Konzepts zum zukünftigen Umgang mit Kriegerdenkmälern im öffentlichen Raum der Promenade in der Stadt Münster
https://www.stadt-muenster.de/sessionnet/sessionnetbi/vo0050.php?__kvonr=2004046205&search=1

VVN-BdA Münster: Jährlicher Skulpturen-Wettbewerb gefordert
https://muenster.vvn-bda.de/2019/09/29/jaehrlicher-skulpturen-wettbewerb-gefordert/

Linke Münster: Münsters Kriegerdenkmäler kritisch aufarbeiten!
https://www.stadt-muenster.de/sessionnet/sessionnetbi/vo0050.php?__kvonr=2004040427&search=1

Morgenmagazin: Historiker: Umstrittene Figuren zu „Gegendenkmälern“ machen https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/morgenmagazin/videos/Juergen-Zimmerer-100.html

Weitere Informationen zum Thema:

Der Kommentator hat sich 2014 mit den Krieger- und auch Friedensdenkmälern in Münster auseinandergesetzt: Between war and peace – Denk‘mal in Münster.

Die Stadt Münster hat auch eine kritische Ausarbeitung zu den Denkmälern im Netz: Erinnern im öffentlichen Raum: Kriegerdenkmäler – Ehrenmale – Mahnmale und Kriegsgräberstätten in Münster.

Jan Große Nobis

Jan ist Ureinwohner Münsters. In Münster geboren, ging er hier zur Schule, studierte Chemie, Geschichte und Soziologie und anderes und war in der juristischen Online-Redaktionswelt unterwegs – auch in Münster. In der Freizeit macht er antifaschistische Demo-Fotografie. Bei ostviertel.ms als Redakteur unterwegs.

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