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Genug von schlechten Nachrichten

Das Jahr 2020 war durch die Coronakrise kein leichtes Jahr. Jeden Tag wurde die Krise in den Nachrichten thematisiert und auch im Alltag war sie immer wieder spürbar. Das Bedürfnis nach positiven Nachrichten wurde jedenfalls bei mir größer. Aus diesem Grund stellte ich mir die Fragen: Was läuft gut? Was beeindruckt? Und wo sind vielleicht auch Vorbilder?

Auf der Suche nach positiven Nachrichten im Internet fand ich tatsächlich Plattformen, die sich ausschließlich damit beschäftigen. Auch zur Pandemie gibt es bei Twitter eine Seite, die ausschließlich Positives postet. Bekannte Nachrichtenseiten wie Focus online oder zeit.de haben außerdem einen Gute-Nachrichten-Ticker bzw. eine gute Nachrichten Seite. Bei zeit.de ist der letzte Artikel allerdings schon über ein halbes Jahr alt.

Wie wird hier berichtet? Wird das Negative einfach ausgeblendet? Das kann es doch auch nicht sein. Denn schlimme Dinge passieren leider und dann sollte doch auch darüber berichtet werden.

Durch meine Internetsuche fand ich dann den Begriff „Konstruktiver Journalismus“ und „Positiver Journalismus“. Und die Internetseite perspective-daily.de aus Münster. Dort erfuhr ich: Es geht beim konstruktiven Journalismus tatsächlich nicht darum zu beschönigen, sondern eher darum Lösungen zu erarbeiten. Die klassischen W-Fragen werden ergänzt um die Frage: Wie kann es weitergehen?

Die Lösungen präsentieren nicht die Journalist*innen selbst, sondern es geht vielmehr darum, den Diskurs anzustoßen und bereits bestehende Lösungsansätze zu recherchieren und vorzustellen.

“[…] wobei es nicht Aufgabe der Journalisten ist, sich selbst Lösungen auszudenken. Konstruktiver Journalismus soll vielmehr unabhängig und kritisch recherchieren, welche Menschen und Organisationen an Auswegen eines Problems arbeiten, welche Modelle gerade erdacht werden und welche schon praktisch erprobt sind.” 1

Eine gute Idee, wie ich finde. Wissenschaftliche Studien haben nämlich gezeigt, dass die Motivation, etwas zu verändern, durch negative Nachrichten verloren geht. 2

In der Coronakrise ist dies jedoch nicht immer einfach, denn diese lässt sich zumindest nicht schnell lösen. Dennoch gab es in der Pandemie doch auch immer wieder Stimmen, die versuchten, aus der Krise zu lernen bzw. neue Konzepte zu erarbeiten, um alles irgendwie „am Laufen“ zu halten.

Mein Eindruck bei der Berichterstattung war, dass meist aus den Missständen, die in der Pandemie offensichtlich wurden, für die Zukunft gelernt werden soll – beispielsweise bei der Digitalisierung und im Gesundheitswesen. Also wurden schon Lösungen gesucht bzw. Probleme diskutiert und angegangen. Wichtig beim konstruktiven Journalismus ist es, in Lösungen statt Problemen zu denken, auch wenn Letztere vielleicht einfacher zu finden sind.

Ein Beispiel von perspective-daily.de:

Ist der Spruch „only bad news are good news“ oder „nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“ demnach veraltet und nicht zielführend? Oder verkaufen sich schlechte Nachrichten einfach besser? Sind gute Nachrichten zu langweilig? Schaffen sie zu wenig Aufmerksamkeit?

Klar ist, dass einige Medien immer wieder solche schlechten Nachrichten produzieren bzw. auf die Agenda setzen. Vor allem Boulevardmedien wollen scheinbar die Skandale. Es gab beispielsweise zahlreiche Kritik an der Berichterstattung im Bezug auf die Terroranschläge in Wien am 2. November 2020. Beim österreichischen Presserat sollen 1.450 Beschwerden eingegangen sein – ein Negativrekord. Auch deutsche Medien wie die Bild-Zeitung standen diesbezüglich in der Kritik, da sie Bilder und Videos des Anschlags zeigten. Ein Sprecher der Bild-Zeitung sieht es jedoch als unerlässlich an, solche Bilder zu veröffentlichen.

“Es widerspricht unserem klaren Verständnis von Pressefreiheit, wenn Medien jeder Bitte nachkommen, von Berichterstattung abzusehen. Das würde am Ende nur Verschwörungstheorien und sonstigen Fake News Vorschub leisten.“ 3

Im Pressekodex des deutschen Presserates gibt es unter dem Punkt 11 “Sensationsberichterstattung” den Bereich “Berichterstattung über Gewalttaten” (11.2):

“Bei der Berichterstattung über Gewalttaten, auch angedrohte, wägt die Presse das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Opfer und Betroffenen sorgsam ab. Sie berichtet über diese Vorgänge unabhängig und authentisch, lässt sich aber dabei nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen. Sie unternimmt keine eigenmächtigen Vermittlungsversuche zwischen Verbrechern und Polizei. Interviews mit Tätern während des Tatgeschehens darf es nicht geben.” 4

Zwar ist die Diskussion über konstruktiven Journalismus nicht neu, Prominente wie Nora Tschirner unterstützen perspective-daily.de seit der Anfangsphase im Jahr 2016, dennoch gibt es sicher immer noch Bedarf, die Berichterstattung auf konstruktive Ansätze zu überprüfen. RUMS ist eine weitere, noch recht neue Online-Zeitung aus Münster, die nach eigenen Angaben ebenfalls konstruktiven Journalismus betreibt.

Laut Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung braucht es keinen neuen, konstruktiven Journalismus, sondern einfach nur ordentlichen Journalismus:

“Ein guter Journalismus bleibt bei den Fakten; er analysiert sie und bewertet sie, so sachkundig wie möglich. Er übertreibt nicht um des Übertreibens will, er haut nicht aus Gaudi auf den Putz; er macht keine Werbung für Lobbys, er fällt auch möglichst nicht auf Propaganda herein; guter Journalismus krakeelt nicht herum. Kikeriki-Journalismus, also ein Journalismus, dem es das Allerwichtigste ist, dass er der schnellste und der allerexklusivste ist, ist nicht automatisch ein ordentlicher Journalismus.” 5

Mein Fazit:
Es kann vielfach konstruktiver berichtet werden, das steht fest. Die Augen vor Problemen schließen und nur positive Nachrichten bringen, kann jedoch nicht die Lösung sein. Denn dann wird beschönigt und Schlimmes ausgeblendet. Konstruktiver Journalismus geht Probleme an und bringt Diskussionen über Lösungen in Gang, weil Veränderungen in Zukunft möglich sind. Diskussionen, auch mit Leser*innen, sind ausdrücklich erwünscht. Konstruktiver Journalismus motiviert Leser*innen somit. Kurz und schnell funktioniert dieser aber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht.

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