OSTVIERTEL.MS

Die PARTEI/ÖDP: Radikaler als die Koalition erlaubt?

Der Koalitionsvertrag ist nun druckreif. Die neue Koalition aus Grünen, SPD und VOLT hat schon ihre Arbeit aufgenommen. Der Wille der Koalition für eine fast autofreie Innenstadt hat hohe Wellen geschlagen. Die konservative Opposition schäumte. Wir haben uns Münsters Politik ins Studio geholt und die einzelnen demokratischen Akteur*innen zum Stand der Dinge befragt. Hier das Interview mit Lars Nowak, Stadtrat der Ratsgruppe Die PARTEI/ÖDP.

Das Interview hat Jan Große Nobis am 5. März 2021 mit Ratsherrn Lars Nowak geführt.

Jan Große Nobis: Hallo lieber Hörerinnen und Hörer, heute sprechen wir mit Lars Nowak, Stadtrat und Mitglied der Ratsgruppe ÖDP/Die PARTEI im Stadtrat der Stadt Münster.

Der Koalitionsvertrag ist verabschiedet die neue Koalition aus Grünen, SPD und Volt hat ihre Arbeit aufgenommen. Die Ratsgruppe ÖDP/Die PARTEI ist in der Opposition zu einem Mitte-Linksbündnis.

Wir fragen nach, was die Ratsgruppe vom Koalitionsvertrag hält und wo die Kritik am Vertrag am größten ist.

Herr Nowak, guten Tag! Sie wollten in der letzten Ratssitzung den Flughafen Münster-Osnabrück an die IHK verkaufen. Was steckt dahinter?

Lars Nowak: Hallo, danke erst einmal, dass ich hier sein darf. Ja, der Verkauf an die IHK hat im Kern auch den Ursprung in unserem Wahlprogramm. Wir haben da ja gefordert, den Flughafen bei eBay-Kleinanzeigen zu verscherbeln (Zitat). Und mit der ÖDP müssen wir uns dann auch intern einigen und darum haben wir hier unsere Forderung etwas abgeschwächt:

Und da sich die IHK auch zum Beispiel in den Westfälischen Nachrichten positioniert hat und gesagt hat, der Flughafen sei für die Wirtschaft sehr wichtig, dachten wir: Gut, dann können die doch ihren sehr geringen Anteil aufstocken und den städtischen Anteil übernehmen, wenn sie das möchten und ihnen der Flughafen so wichtig ist!

Sie sind Mitglied von der Partei Die PARTEI und Sie haben sich mit der ÖDP zu einer Ratsgruppe zusammengetan. Was waren die Gründe?

Natürlich ist jede Partei, die in den Stadtrat einzieht, erst einmal ihre eigene Gruppe oder ihre eigene Fraktion.

Wenn man aber nur mit einem Mandatsträger oder nur einer Mandatsträgerin einzieht, ergibt sich das Problem, dass man da alleine sitzt und einfach weniger Rechte hat. Die Rechte von Gruppen bzw. Fraktionen sind sehr viel weitergehend als die von Einzel-Mandatsträger*innen. Das war einmal der Ansporn zu sagen: Gut, wir reden mit der ÖDP. Und in den Gesprächen hat sich dann herausgestellt, dass das ganz gut zusammenpasst. Dann haben wir die Gruppe gegründet. Es hat halt auch noch weitere Vorteile: Man hat ein Büro, man hat Geld für Personal, man kann einfach besser arbeiten.

Ein Grund ist ja auch, dass man dann auch mehr Rechte hat, in Gremien zu sitzen. Aber das hat ja nicht geklappt, Sie hatten im Dezember letzten Jahres die Vergabe der Gremien und Aufsichtsrats-Posten im Stadtrat der Stadt Münster kritisiert. Was war da vorgefallen?

Man muss dazu wissen: Im Prinzip verläuft die Wahl nach einem Vergabeverfahren – aber es ist halt am Ende immer noch eine Wahl. Und es gibt immer so eine Vorberechnung die rein gegeben wird, wo dann steht, welche Gruppe und welche Fraktion wo wie viele Sitze hat.

Wir haben nun mit dem fraktionslosen Ratsherren Herrn Tsakalidis gesprochen und waren uns einig, dass wir durchaus zusammenarbeiten wollen und haben ihm ja auch einige Ausschusssitze gegeben, die in Anführungsstrichen uns als Ratsgruppe zustehen würden.

Wir haben dann mit ihm zusammen abgestimmt und hatten dadurch natürlich drei Stimmen – genauso wie die FDP und die Linke. Also haben wir mit denen im Vorfeld der Sitzungen gesprochen – im November war das. Das war allerdings nicht sehr ergiebig. Es ist dann quasi immer der letzte Sitz in den kleineren Gremien und Ausschüssen, um den es da geht.

Und die hatten keine große Lust da irgendwas abzugeben. Und haben sich dann, da sonst immer ein Losverfahren stattgefunden hätte, wenn drei Gruppen jeweils ihren Vorschlag mit drei Stimmen versehen, mit den anderen großen Fraktionen – CDU, Grünen und ich glaube auch SPD, da bin ich mir aber nicht sicher, – gesprochen. Und dann gab es ja die seltsame Situation, dass die Grünen mal eine Stimme der FDP, mal eine Stimme der Linken gegeben haben und in einer Abstimmung sogar einmal eine für die FDP und eine für die Linke – das waren dann die beiden Grünen Fraktionsvorsitzenden Kattentidt und Rietenberg, die das gemacht haben. Das war schon ein interessantes Schauspiel.

Wie viel Gremiensitze haben Sie dann bekommen?

Wir haben Sitze in den sogenannten „großen Ausschüssen“ bekommen, also den Ausschüssen mit 19 Mitgliedern. Das sind der Ausschuss für Schule, der Kulturausschuss, der Planungsausschuss und so weiter und so fort. Und dann noch einen  Sitz in der Zweckverbandsversammlung der Sparkasse Münsterland-Ost. Die tagt einmal im Jahr. Ob die so furchtbar relevant für uns ist, weiß ich nicht. Da sitzen wir aber auf jeden Fall auch. Und natürlich einen Sitz im Hauptausschuss – der hat 26 Sitze.

Autofreie Innenstadt, nachhaltiges Wirtschaften, Digitalisierung, Gleichstellung sind der Leitfaden des Koalitionsvertrages, das müsste Ihnen doch gefallen! Wie zufrieden sind sie mit den Ergebnissen der Koalition – auch wenn sie ja nicht Teil dieser Koalition sind?

Es gibt sicherlich gute Ansätze. Ich kann das auch so sagen, dass wir natürlich lieber so eine Koalition sehen, als jetzt eine Koalition mit der CDU. Wir glauben, das wäre deutlich weniger progressiv. Damit will ich jetzt aber auch nicht sagen, dass wir den Koalitionsvertrag für furchtbar progressiv halten. Er hat sicher hier und da gute Ansätze – gerade auch was das Thema Verkehr angeht –, in anderen Feldern ist er vielleicht ein bisschen zurückhaltend.

Und, er ist ja auch sehr ausladend, ich habe mir das Dokument heute morgen noch einmal angeguckt, mit 122 Seiten. Ich bin noch einmal darüber gescrollt. Da steht auch viel drin, wo man gar nicht weiß, was das denn ist. Da steht auch drin, die Holzbauweise soll gestärkt werden und darum soll es einen kommunalen Holzbauplan geben. Mehr steht dazu aber nicht drin. Keine Ahnung, was das ist, und keine Ahnung, was das werden soll. Und von diesen kleinen Punkten finden sich da viele drin, da bin ich mal gespannt was das geben wird.

Andere Punkte sind natürlich schwierig für uns, zum Beispiel dieses SPD-Spaßbad in Gievenbeck, das man ja jetzt bauen möchte, das die Koalition ja jetzt auch im Haushalt einleiten möchte. Da sind wir skeptisch, ob das in der Art notwendig ist, ob das finanziell eine gute Idee ist. So Spaßbäder sind ja in Kommunen häufig Millionengräber – vorsichtig gesagt – und da sind wir gespannt.

Zum Beispiel hatten wir jetzt auch die Situation, dass das Südbad ja beschlossen wurde beziehungsweise jetzt am 17. März endgültig vom Rat beschlossen wird. Aber in den Ausschüssen war das alles schon relativ deutlich und da ist es uns auch nicht weitgehend genug, da könnte man noch mehr auf energetische Fragen und so etwas gucken.

Also sie sind nicht gegen das Südbad, sondern gegen die Art der Umsetzung?

Wir sind nicht prinzipiell gegen Schwimmbäder. Die Frage ist halt nur, ob man Schwimmbäder für Dutzende von Millionen Euro bauen sollte, ohne einen Gesamtplan dafür zu haben. Da sind wir mal gespannt, wie das werden wird.

Ich bin ja relativ neu in der Politik. Ich war ja eigentlich davon ausgegangen, dass, wenn man so große Investitionen tätigen möchte, dass man dann irgendwie einen Plan dafür hat. Aber das scheint nicht unbedingt notwendig zu sein – merke ich jetzt auch schon.

Die ÖDP forderte im Wahlkampf die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe und die Fokussierung auf Gemeinwohlökonomie, ist das auch Programm der Ratsgruppe?

Ja, das ist ja an sich nicht schlecht. Und das Stichwort Gemeinwohlökonomie findet man sogar auch im Koalitionsvertrag. Das ist zwar nur ein kleiner Punkt, aber das ist ja nichts, wo man was gegen haben könnte.

Im letzten Wahlkampf hat ihr Partner, die ÖDP, neue Bürger*innen-Beteiligungsformate gefordert. Der Koalitionsvertrag setzt zwar auf Bürger*innenbeteiligung, konkret wird der Koalitionsvertrag in diesem Punkt aber nicht. Kann man aus Ihrer Sicht darauf aufbauen?

Ja, das greift ja auch so ein bisschen den Punkt auf, den ich gerade schon erwähnt habe, dass er das Thema irgendwie anreißt, dann aber nicht sagt, was konkret gemacht werden soll. Das ist dann eben merkwürdig, wenn ich 122 Seiten schreibe und dann die Punkte doch nicht klar formuliert sind.

Ich glaube, die ÖDP – und auch wir als Ratsgruppe – hat da jetzt ein Konzept vorgeschlagen, für das Hafencenter… Dass man da einen Bürger*innenrat macht, um das [den Konflikt um den Hafenmarkt; d.A.] so zu befrieden. Das sind Verfahren, da werden zufällig Leute aus der Stadtgesellschaft nach der sozioökonomischen Zusammensetzung ausgewählt – also dass sie auch die Gesellschaftsstruktur abbilden: In ihrer Altersstruktur, in ihrer Diversität gesamt, sage ich mal.

Die wird dann auch beraten durch Verwaltung und Fachleute und so weiter. Auch finanziert durch die Stadt. Räte eben, die sich mit diesem Thema beschäftigen und da versuchen, eine Lösung zu finden, die am Ende für alle akzeptabel ist. Dass man solch Konflikte nicht immer Jahre oder Jahrzehnte austragen muss. Und das bringt vielleicht einige Bürger*innen näher an die Politik heran oder schafft auch mehr Verständnis dafür und auch mehr Transparenz in Teilen vielleicht, das ist ja nichts Schlechtes.

Nun zu ihrer Partei „Die PARTEI“. Nach der Wahl schrieben Sie auf Ihrer Website, Sie würden jetzt eine aggressiv-behagliche Turbopolitik der extremen Mitte für die Bürger*innen machen. Was kann man sich darunter vorstellen?

Unsere Politik ist natürlich erst einmal immer sehr gut. Also das ist Grundsatz der Partei. Alles, was wir machen, ist sehr gut. Die aggressiv-behagliche Turbopolitik der extremen Mitte ist einfach ein Konzept, das wir schon lange verfolgen. Wir haben es letztes Jahr mit unserem Wahlprogramm beschlossen und werden uns sehr intensiv dafür einsetzen, dass wir das auch möglichst stark in unsere Ratsarbeit einbringen.

Wir wollen niemandem gefallen und allen gefallen. Am Ende wird der Wähler oder die Wählerin urteilen, ob sie das gut finden oder nicht. Wir finden es auf jeden Fall gut und das ist ja auch das Wichtigste, dass wir von unserer eigenen Politik überzeugt sind. Weil, sonst würden wir diese Politik ja nicht machen. Wobei ich bei anderen in der Politik, bei anderen Parteien nicht das Gefühl habe, dass sie unbedingt davon überzeugt sind, was sie da machen. Sie müssen da auch teilweise aus Gründen – Stichwort Fraktionszwang – dafür stimmen.

Es ist also sehr wichtig, dass Satire in die Politik geht?

Was heißt sehr wichtig? Eigentlich ist es ja traurig, dass es so weit kommen muss. Der beste Fall wäre ja, dass es so eine Partei, wie die unsere gar nicht geben müsste, weil die Politik so gut ist. Sie ist aber nicht gut. Und das ist ja der Punkt, warum es uns gibt. Weil uns eben große Teile der Politik, des Systems und wie sie funktionieren, missfallen. Darum braucht es eben die Satire in der Politik.

Im Februar 2019 hatten Sie als Partei ein Gespräch mit einem AfD Protestwähler. Der sagte auf ihre Frage, was denn die AfD anders mache als die herkömmlichen Parteien: „Nichts, aber da sind noch Rechnungen offen“ und deshalb würde er die AfD wählen. Hat dieser Wähler Sie nicht überzeugt? Sie protestieren immer noch gegen die AfD, warum? 

Ne, der hat mich nicht überzeugt! Aber ich habe auch nicht persönlich mit ihm gesprochen. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt einmal persönlich mit AfD-Wähler*innen gesprochen habe – doch beim Plakatieren haben wir mal welche getroffen, die sagten: „Wir plakatieren immer um 2 Uhr nachts“: Die hielten uns aber merkwürdigerweise für die SPD. Das hat uns irgendwie verwundert, aber naja, es war auch eher die Generation 70+. Also, hmm.

Es ist extrem wichtig, gegen die AfD zu protestieren, zu handeln, zu demonstrieren. Solange es die AfD gibt und solange die AfD ihren rassistischen Mist in die Öffentlichkeit trägt. Solange sie Menschen in ihrer Partei hat, die in diese Neonazi-Richtung gehen oder sich sogar, man sieht das ja am Fall Kalbitz, gar nicht so richtig von denen trennen will. Das ist ja auch noch so ein Punkt.

Und diese Partei ist aus unserer Sicht einfach gefährlich und darum bekämpfen wir die AfD natürlich!

Gut, noch einmal zurück zur Ratspolitik. Es gibt schon viele Gemeinsamkeiten mit der neuen Koalition. Wie wird unter diesem Aspekt Ihre Oppositionsrolle als Opposition gegen ein Mitte-Links Bündnis aussehen?

Naja, wenn Dinge eingebracht werden oder es Anträge gibt, die gut sind, dann wäre es ja merkwürdig, nicht dafür zu stimmen und nur aus Protest dagegen zu stimmen.

Generell gibt es ja in der Politik einen großen Anteil an Sachen, die relativ unstrittig sind, und dann durchgehen.

Auf die Punkte, sei das jetzt irgendwie eine autofreie oder autoarme Innenstadt, Verkehrswende, bessere Mobilität, diese Sachen, da sind wir natürlich nicht dagegen.

Die Frage für uns ist halt immer nur: Geht es weit genug, geht es schnell genug? Die Ziele sind ambitioniert. Ich habe im Koalitionsvertrag gelesen und das ist ja auch Beschlusslage, dass man bis 2030 klimaneutral sein will. Und da kann man sich schon fragen, wie das dann im Endeffekt gehen soll? So, wie ich die aktuellen Maßnahmen sehe, die da geplant sind, reicht das nicht aus.

Ich meine, der Klimawandel wartet nicht auf die Politik. Und daher wird man sehen müssen, wie ambitioniert da dann am Ende wirklich vorgegangen wird. Und: Bei den Sachen, wo wir bisher Anträge eingebracht haben, waren die immer weitergehend, was den Bereich betrifft. Und die wurden dann natürlich regelmäßig nicht angenommen. Es ist ja auch nicht Usus, dass eine Koalition Anträge von einer Oppositionsgruppe annimmt…

Ja, wäre mal was Neues…

Wäre mal was Neues! Aber passiert ja nicht – leider. Man sieht das auch in Landtagen oder im Bundestag, das ist ja überall so.

Da sind wir mal gespannt, ob es da doch nicht noch schneller geht. Und, ob wir dann nicht doch noch einmal so ein bisschen – ich sag’ mal – Stachel im Fleisch sein können und sagen können: Ja mach doch nochmal schneller, mach doch nochmal besser! Und wenn Politik insgesamt besser wird, weil es uns gibt, dann ist das ja auch was Gutes.

Ich danke für das Gespräch.

Ja gerne! Vielen Dank!

Jan Große Nobis

Jan ist Ureinwohner Münsters. In Münster geboren, ging er hier zur Schule, studierte Chemie, Geschichte und Soziologie und anderes und war in der juristischen Online-Redaktionswelt unterwegs – auch in Münster. In der Freizeit macht er antifaschistische Demo-Fotografie. Bei ostviertel.ms als Redakteur unterwegs.

Kommentar hinzufügen

Münster-Podcasts abonnieren