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(Foto: Joanne Böckmann-Davis)
(Foto: Joanne Böckmann-Davis)

Mein Hund kann nicht alles – ich doch auch nicht!

Warum macht mein Hund einfach nicht, was ich von ihm will? Diese Frage stellen sich Hundebesitzer*innen höchstwahrscheinlich sehr häufig. Wir haben uns mit Joanne Böckmann-Davis getroffen, einer Hundepsychologin aus dem Ostviertel. Seit 2012 ist sie selbstständig und arbeitet in ihrer eigenen Hundeschule, ist aber hauptsächlich bei ihren Kund*innen im Einsatz. Wir haben sie gefragt, wie eine glückliche Beziehung zwischen Hund und Besitzer*in aussehen kann.

Warum bist du eine Hundetrainerin geworden?

Der Hund ist meine Leidenschaft, seit ich wirklich klein war. Ich glaube, jeder Hundetrainer sagt, der Hund ist eine Leidenschaft, mit der man geboren wird. Als ich klein war, hatte ich einen Karton voller Postkarten mit allen möglichen Hunderassen. Wenn meine Kollegen Fragen zu einer bestimmten Rasse haben, dann rufen die mich immer an: „Das ist die Rasse Soundso, was hat die für eine Besonderheit?“ Dann weiß ich immer schon genau: Okay, das ist die Rasse Soundso, die hat diese Eigenschaften… Also, da bin ich so ein bisschen ein Freak drin. Mein Mann hat einen Hund mit in unsere Beziehung gebracht, einen American Staffordshire Terrier, und als der irgendwann gestorben ist, habe ich echt gedacht: „Ich glaube, ich hab ihm Unrecht getan!“ Also, ich hatte das Gefühl, das Training, mit dem er groß geworden ist, war nicht das richtige für ihn. Er wurde häufig bestraft damals, so wie man‘s früher gemacht hat, an der Leine geruckt und so. Er ist ins Grab gegangen, und ich fühlte mich nicht wohl dabei. Nicht nur weil er gestorben war, sondern wegen dem, was wir mit ihm gemacht haben. Und dann habe ich gedacht: Das will ich beim nächsten Hund besser machen, das will ich bei allen anderen Hunden besser machen! Und dann habe ich diese Ausbildung gemacht, die über ein Fernstudium bei der ATN in der Schweiz läuft, und das wird in Deutschland anerkannt. Wir haben also die deutsche Anerkennung dafür, dass wir Besitzer mit ihren Hunden ausbilden dürfen, und damit auch die Genehmigung für Münster. So bin ich diesen Weg gegangen und dann mit meinem Wissen in die Selbstständigkeit eingestiegen. Dieses Wissen ist über die Jahre in Fortbildungen gewachsen und gewachsen. Und wenn ich mit diesem Wissen jetzt 15 Jahre zurückdenke, als wir unseren ersten Hund hatten, dann fallen mir Sachen ein, die wir für normal gehalten haben, die ich jetzt niemals mit einem Hund tun würde.

Was zum Beispiel?

Zum Beispiel ihn zu hauen. Ganz einfach ihn zu hauen, was viele immer noch machen. Oder an der Leine zu rucken mit einer Kette um den Hals. Man kann beobachten, dass das jeder Fünfte hier jeden Tag immer noch macht, den Hund zu rucken, und der weiß gar nicht, weshalb. Ist es nur, weil wir schlechte Laune haben? Der läuft ein bisschen vor, hat Leinenführung gar nicht richtig gelernt, läuft ein bisschen, schnuppert, geht nicht sofort mit, und zack: wird er mit dem Metallhalsband an der Leine geruckt. Es tut mir in der Seele weh, wenn ich das sehen muss. Besser wäre doch ein kurzes Umorientieren. (Sie klickt mit der Zunge.) „Komm, wir gehen weiter!“ Und dann wird er sich sagen „O ja, schön, machen wir weiter!“ Aber immer dieses unerwartete Rucken! Das haben wir damals mit unserem Hund auch gemacht, uns wurde gesagt, dass man das so macht. Popo runterdrücken, Halsband hoch, der Hund sitzt.

Ich kann mich erinnern, als ich mit meinem Hund rausgegangen bin. Das war ein Husky, also hatte er natürlich unglaublich viel Energie. Aber das Problem war auch, dass er an allem anderen außer mir sehr interessiert war. Und dann hat er unglaublich stark gezogen, also es war sehr schwierig, ihn überhaupt zu halten. Was macht man in solchen Fällen?

Genau, als Mensch wird man natürlich ein bisschen verärgert, man wird frustriert. Aber im Endeffekt geht es darum, dass wir einen Motivator für den Hund finden müssen. Bei einem Husky muss man überlegen, wofür der gezüchtet worden ist: Der ist ja nicht der typische Faulpelz, er möchte schon eine Aufgabe bekommen. Trotzdem suchen wir Menschen uns diese Rassen aus, weil sie schön ist, das sieht man ganz häufig. Und wenn man keinen Motivator für den Hund finden kann, wodurch der Hund Lust hat, mit uns etwas zu machen, dann hat man viel Arbeit vor sich. Bei solchen Hunden kann ich auch nie garantieren, dass man das hinkriegen wird. Man kann die brechen – aber will ich das? Ich will kein Haustier haben, das ich brechen muss, nur weil es nicht die gewünschten Charaktermerkmale mitbringt. Ich war neulich zu einer Beratung bei einer Familie mit Kindern, die eine Vorstellung von einem Hund gehabt haben, die es nicht gibt: Er darf nicht jagen, er soll lieb zu Kindern sein, er soll aber trotzdem genug Energie zum Spielen haben, damit es nicht langweilig wird, er soll aber auch, wenn ich ins Büro gehe, einen halben Tag alleine bleiben können. Es kann sein, dass ein Hund sowas kann, aber dafür kann ich auf Basis der Rasse natürlich keine hundertprozentige Sicherheit garantieren.

Also im Prinzip ein Kuscheltier.

Ja, und dann stehe ich da und denke: Na gut, es gibt mehrere Rassen, die das vielleicht schaffen würden, aber eine konkrete Rasse zu nennen, kann schwierig werden. Wobei man vieles mit Training machen kann, aber die Grundcharaktermerkmale bleiben. Man kann eine noch so gute Bindung zu seinem Hund haben, aber die Merkmale stecken in ihnen! Es gibt gewisse Sachen, die man als Trainer auch mit einem glücklichen Hund nicht raus bekommen kann. Ich glaube, in der Hundepsychologie ist es häufig so, dass man viel mit Akzeptanz arbeiten muss. Und wenn jemand sagt: „Ich möchte, dass mein Hund das nicht macht“, dann sage ich: „Ja, würde ich auch nicht wollen. Aber wir können nicht immer alles komplett unterbinden und gucken jetzt erst mal, was für Sie und für den Hund ein gutes Mittelmaß sein kann.“ Es gibt ja auch sehr unglückliche Hunde, und ein unglücklicher Hund wird vermutlich anderweitig auffällig werden, wenn ich ihm etwas verbiete. Was soll er stattdessen machen?

Natürlich ist Joanne Böckmann-Davis auch privat eine Hundebesitzerin. (Foto: Beata Jaranowska)

Wer ist eigentlich deine Kundschaft? Was für Probleme haben sie?

Gängige Probleme sind Hundebegegnungen untereinander, dass die Hunde an der Leine bellen oder nach vorne gehen. Das sind Klassiker sozusagen. Oder auch Alleinebleiben, dass der Hund nicht gut zu Hause alleine bleiben kann, das ist auch ein sehr schwieriges Thema. Ganz häufig ist auch, würde ich auch sagen, zu viel Ziehen an der Leine. Bellen im Garten, das Anbellen von Menschen, die vorbeilaufen — das ist gerade für viele Menschen in Wohngebieten total nervig, wenn ein Hund sich jedes Mal derartig äußert. Ansonsten sind es meistens einzigartige Sachen, wo man dann wirklich hinfahren muss, um zu gucken, warum der Hund so reagiert. Zum Beispiel Schnappen. Da wird immer behauptet: „Mein Hund beißt aus dem Nichts heraus.“ Da liegt immer der Verdacht nahe, dass das vermutlich nicht der Fall ist und man nur sehr viele Signale ignoriert hat. Das sind so die gängigen Probleme.

Und wie sieht das dann aus, wenn ich ein Problem mit dem Hund habe? Ich rufe dich an, und dann habe ich mit dem Hund ein paar Stunden bei dir? Oder kommst du vorbei? Wie sieht dieser Prozess aus?

Du rufst an, ich frage dich erst mal, wo du wohnst, und wenn du relativ in der Nähe wohnst, dann ist es meistens am sinnvollsten, wenn ich zu dir nach Hause komme und mir das häusliche Umfeld angucke. Wenn es ein reines Leinenführigkeitsproblem oder ein Begegnungsproblem ist, gehe ich meistens mit meinen Kunden in Richtung Kanal, Maikotten, Prozessionsweg. Ich habe da einen schönen Gang, der schon eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt und wo ich weiß: Wir haben Zeit, wo wir zur Seite gehen können, ein bisschen Theorie machen, und wenn es zeitlich machbar ist, auch praktisch umsetzen können. Für das Erstgespräch haben wir dann eine oder eineinhalb Stunden, das kommt immer ein bisschen drauf an. Ich weiß, dass manche Kollegen gerne nur eine reine Anamnese vornehmen. (Erfassung der Vorgeschichte eines Problems; J.T.) Ich gehe lieber direkt an die Situation ran und gucke mir das Ganze einfach an. Ich finde, man sieht sehr viel, wenn man sagt: “Gehen Sie einfach weiter! Machen Sie das, was Sie sonst auch machen!” Dann beobachte ich schon, ob und wie viele Leinen-Rucks kommen, wie viel Kommunikation vorhanden ist, wie viel Motivation der Hund hat, mit dem Besitzer zu arbeiten. So sind wir dann unterwegs, und dann findet die Stunde so peu à peu statt. Und währenddessen korrigiere ich ein bisschen oder mache nebenbei ein bisschen Theorie, und dann sag ich meistens: “Okay, mit dem, was wir heute gemacht haben, gehen Sie erst mal nach Hause und üben. Und wenn Sie das Gefühl haben, dass es gefunkt hat mit uns und dass ich Ihr Problem gut angegangen bin, dann melden Sie sich wieder!” Je nachdem, wie schwer die Problematik ist, sehe ich die dann meistens zwei, drei, vier Mal. Manchmal buchen sie direkt Fünferkarten, dann sehen wir uns vielleicht zweimal fünf, also zehn Stunden am Stück. Das kommt ein bisschen darauf an, natürlich auch auf die finanziellen Möglichkeiten der Menschen, und auch darauf, ob sie das Gefühl haben, dass es auch passt, so wie sie das wollen.

Und wie sieht so eine Trainingsstunde aus? Bist du da mit dem Hund beschäftigt und sagst ihm irgendwas?

Ich kann den Besitzern den Hund natürlich abnehmen, und der Hund läuft. Erstens habe ich den Fremden-Faktor. Ich bin fremd und der Hund denkt sich: “Oh, die ist ja spannend! Und sie hat sogar Wurst in der Tasche!” Bei mir mag dann alles funktionieren, aber das ist natürlich für die Besitzer nicht unbedingt hilfreich. Ich kann ihnen zeigen, dass es so aussehen würde, wenn der Hund motiviert ist, mit seinem Besitzer etwas zu machen. So kann es aussehen. Aber es ist so, dass wir natürlich dem Menschen mit seinem Hund helfen wollen. Das heißt, ich lasse sie meistens laufen und bleibe stehen, spreche den Hund an, wir machen ein paar Kommandos, die der Besitzer zu Hause ausarbeiten muss. Also, wenn es so ein Umorientierungssignal ist (Sie schnalzt mit der Zunge.) — das bedeutet, der Hund ist klassisch konditioniert, in dem Sinne, dass er, wenn er es hört, wahrscheinlich gucken wird. Wenn ich das einmal drin habe, habe ich schon einen Zugang zu meinem Hund. Wenn der Hund aus deinem Beispiel nach vorne zieht und überhaupt kein Interesse nach hinten hat, dann habe ich mit klassischer Konditionierung trotzdem erstmal eine Ansprechbarkeit ihm gegenüber, auch wenn es nur ein Ohrzucken ist. Er ist ein bisschen mit mir verbunden. Das ist so eine Sache, die fast alle meiner Besitzer zuerst aufbauen mussten. In der Stunde zeige ich ihnen, wie das geht, und sie üben das dann zu Hause. Und beim nächsten Training, in der nächsten Stunde, können sie sagen: “Guck mal, guck mal, wie aufmerksam er jetzt ist!” Sie merken, dass sie mehr Bezug zum Hund haben und er viel interessierter ist, an dem was sie tun. Dann geht es von Mal zu Mal weiter. Man muss das dann natürlich immer wieder zu Hause üben.

Ist es irgendwann für einen Hund zu spät? Vielleicht sollte man ab einem gewissen Zeitpunkt keine Wunder mehr erwarten…

Es ist nie zu spät! Egal, wann man damit anfängt, man wird dem Hund vermutlich immer einen Gefallen damit tun. Denn wir verstehen den Hund dadurch besser. Aber natürlich: Ein langjährig eingeübtes Verhalten ist sehr schwer rückgängig zu machen. Wenn der Hund nur gelernt hat zu ziehen und zurückgezogen zu werden, dann wieder in den Zug zu gehen und wieder zurück, dann geht das in die Gewöhnung über. Der Weg zurück ist extrem schwer und nur erfolgreich mit sehr viel Konsequenz. Das heißt, bei jedem Zug bleibe ich stehen und hole den Hund wieder zurück. Da komme ich natürlich mit dem Spaziergang nicht wirklich voran. Da fragen viele: “Ja, aber ist das wirklich in den Alltag integrierbar?” Da muss man auch wie gesagt mit Akzeptanz arbeiten und passend dazu, auch schon mal leichtere Züge belohnen, bis der Hund langsam aber sicher das Prinzip verstanden hat. Je fleißiger man selbst arbeitet und je mehr der Hund mitdenkt, desto besser wird es natürlich klappen. Wenn der Besitzer den Willen hat und der Hund sich auch besser verstanden fühlt, dann entwickeln beide eine bessere Verständigung miteinander.

Joanne Böckmann-Davis mitsamt eigener Hündin in unserem Viertelgespräch. (Foto: Beata Jaranowska)

Gibt es da auch Unterschiede zwischen den Rassen, kann man manche einfacher oder schlechter erziehen?

Ja, gibt es. Wenn man in die Geschichte des Hundes guckt, gibt es auch die Rassen-Beschreibungen. Je nachdem, was für einen Hund du holst, hast du schon eine Ahnung, was du für einen Hundetypus kriegen wirst. Der Labrador ist ein supertoller Hund, aber ihre Besitzer rufen mich an: “Der will allen Hallo sagen, der springt alle Leute an und will zu jedem anderen Hund hin.” Er ist auch dazu gezüchtet worden, ein Familienhund zu sein, alle zu mögen und total freundlich zu sein. Meine Hündin geht an den meisten Hunden vorbei und sagt sich: “Interessiert mich gar nicht. Ich guck mal, ob ich Mäuse finden kann!” Das sind Situationen, wo ich dann frage: “Was wollen Sie mit diesem Hund?” Dann hätte man vielleicht einen Hund nehmen müssen, der zu Fremden mehr Distanz hält. Es gibt zum Beispiel auch Herdenschutzhunde, denen eigentlich gar keine Menschenkooperation angezüchtet wurde. Die sollen die Schaf- oder Ziegenherde schützen. Mit Menschen und anderen Hunden haben sie nicht viel am Hut. Sie haben den Job dafür zu sorgen, dass jemand verschwindet, wenn er zu nahe kommt. Das ist deren Arbeit. Und deswegen ist es manchmal problematisch, wenn wir aus dem Tierschutz Mischlinge aus solchen Rassen sehen. Die sind groß, flauschig und weich, häufig mit Flecken, und sehen wunderschön aus. Und dann stellt sich raus, dass das eher ein Herdenschutz-Mix ist und dann auf einmal keiner mehr in die Wohnung oder überhaupt noch in die Nähe des Hauses reinkommen darf.

Gegen die Natur…

Ja, das ist gegen ihre Natur. Wir sollten nicht gegen die Natur der Hunde arbeiten, sondern ihnen eine Alternative bieten. Sonst werden die Hunde das machen, was ihre Natur ihnen sagt.

Gibt es intelligente oder nicht intelligente Hunderassen, oder kommt es immer auf den einzelnen Hund an?

Ich habe letztens eine Fortbildung gemacht über Intelligenz und welche Hunderasse intelligenter ist als die andere. Aber es hat häufig mit der Problemlösungskompetenz zu tun. Die eine Rasse, die vielleicht mehr bei der Jagd gefordert wurde, würde tatsächlich gewisse Aufgaben in diesem Bereich deutlich besser schaffen, als zum Beispiel ein Havaneser, der so etwas in seinem Leben nie gelernt hat. Das hat mit der Intelligenz in der Hinsicht nichts zu tun. Da gibt es unter den Rassen Unterschiede, aber auch innerhalb der Rassen. Zum Beispiel bei Terriern kann es sein, dass in einem Wurf von drei der eine Sachen ganz schnell auffassen kann, der andere gähnt und sich fragt “Was hat sie noch gleich gesagt?”, und der dritte nicht mal mitbekommen hat, dass ich überhaupt was wollte. Es wird immer gesagt, dass der Pudel ein intelligenter Hund ist. Aber vor allem ist er sehr willig und sehr schnell zu begeistern, weswegen er auch schneller lernt. Das ist wie bei uns Menschen: Ein Kind, das ein Thema total spannend findet, wird es vermutlich schneller lernen als ein Kind, das es total langweilig findet. Ich bin ja seit vielen Jahren unterwegs, kann aber nicht sagen, dass ich von einer Rasse als solcher besonders clevere Hunde angetroffen habe. Ob sie zum Beispiel wie ein Beagle eine Spur über ein paar Kilometer verfolgen können — das mag ich ja wahnsinnig clever finden, aber es steckt einfach drin! Andere Hunde können vielleicht Tricks machen, zählen oder einen blauen Ball in einer Kiste voll gelber Bälle finden. Dann würde jemand anders vielleicht sagen: “Wow, ist der clever!” Es ist auch clever, aber ergibt es einen Sinn? Aus Hundesicht eigentlich gar keinen. Ein Hund ist eigentlich dann clever, wenn er in der Natur zurechtkäme und eine Überlebenschance hätte. Das würden die meisten unserer Hunde nicht mehr tun.

Wenn ein Hund ungehorsam ist, wessen Schuld ist das? Wenn ein Hund nicht zuhört oder zieht — ist es seine Schuld oder meine?

Deine Schuld. Leider. (Sie lacht.)

Das wollte ich hören!

Das wird deine Schuld sein auf jeden Fall, weil du ihm nicht gesagt hast, was er stattdessen hätte tun sollen. Das mag jetzt vermenschlicht sein, aber ich sehe manche Hunde, denen man wirklich anmerkt, dass sie eigentlich keine Lust haben. Dann muss man natürlich überlegen: Warum hat er keine Lust? Und was kann ich machen, damit der Lust bekommt? Denn das machen die meisten nicht, diesen Gedanken haben sie gar nicht. Wenn du nicht diesen Gedanken hast, “Warum macht mein Hund das? Was kann ich anders machen?”, dann wirst du das Verhalten auch nicht ändern. Diese Frage muss man sich immer stellen. Warum macht er das? Welche andere Alternative hätte er? Wenn du aber nur an der Leine ziehst — Zug erzeugt Gegenzug. Das ist die Physik.

Ein Training ist also letztendlich nicht nur für die Hunde, sondern auch für die Menschen!

Sowieso, ja! Man denkt: “Ein Hundetrainer – was für ein schöner Job! Man arbeitet mit Hunden!” (Sie lacht.) Das ist überhaupt nicht so. Das war auch für mich ein bisschen eine Lernerfahrung. Da musst du schon mehr in die Filmbranche gehen, wo du wirklich Hunde trainierst. Aber Hundetraining bedeutet absolut, mit dem Menschen zu arbeiten. Und manche Menschen haben einfach ganz skurrile Ideen, was der Hund können muss, wo man manchmal sagen muss: “Ich glaube, da hätten Sie lieber eine Katze kaufen sollen.” Sollte ich natürlich so nicht sagen, dann hätte ich keine Kunden. Aber oft gibt es diese Vorstellung: Der Hund geht mit auf den Markt, der Hund läuft neben dem Fahrrad mit, der Hund geht mit in die Stadt — nicht jeder Hund kann das! Auch von seinem Typus her. Manche haben Angst, manche sind überfordert. Wenn ich einen Hund sehe, denke ich manchmal schon: “Der arme Hund! Der macht das, was ein Hund eigentlich gar nicht machen will!” Er latscht durch die Stadt, ist nur auf der Bodenebene. Wenn er Glück hat, darf er an ein paar Wände pinkeln. Aber er muss sich in jedem Laden ablegen. Na gut, das kann man schon mal zur Not machen, aber für so etwas hab ich keinen Hund, finde ich.

Was sind denn die häufigsten Fehler der Besitzer*innen?

Vielleicht zu viel zu verlangen von dem, was der Hund geben kann. Das ist das Hauptmerkmal. Ich kann versuchen, etwas zu verbessern, aber ich kann nur mit dem Tier arbeiten. Und dann wollen sie vielleicht auch noch eine schnelle Methodik haben. Es soll schnell gehen. Aber natürlich bin ich nur eine Stunde da, und das Problem ist danach noch nicht weg. Das wird lange nicht weg sein. Das muss Schritt für Schritt für Schritt bearbeitet werden, bis wir überhaupt zu dem Problem kommen.

Das ist eigentlich paradox, weil die Leute ihre Hunde ja offenbar für intelligenter als Menschen halten. Man weiß doch, dass auch Menschen Zeit zum Lernen brauchen!

Ja, genau! Wir kaufen uns einen Hund als Hobby, als Spaß. Der soll immer dabei sein und machen, was ich gerne hätte. Und Gott sei Dank, zu 50% klappt das auch! Ich wundere mich immer über Tiere, die ohne Training hinter den Menschen her dackeln und immer friedlich sind. Aber dann gibt es die anderen 50%, die vielleicht verkehrt aufgezogen worden sind.

Gelingt es den Kund*innen meistens umzusetzen, was du mit ihnen und ihren Hunden geübt hast?

Auch das ist sehr kundenabhängig. Wenn ich etwas vormache, klappt es auch relativ schnell. Aber das liegt nicht unbedingt daran, was für ein toller Trainer ich bin. Es liegt daran, dass ich meistens einen sehr schnellen Motivator bei mir habe, meistens etwas Hochwertiges, was der Hund vermutlich nie wirklich von seinem Besitzer bekommen hat, zum Beispiel eine Scheibe Bockwurst oder ein bisschen Käse usw.

Käse?

Ja, Käse lieben die Hunde! Oder ein bisschen gekochtes Huhn, Thunfisch… alles, wo der Hund sich sagt: “Boah, cool!” Zudem bin ich eine fremde Person. Das ist genauso wie bei einem Kind, das seine Tante trifft. Da ist das Kind plötzlich deutlich lieber als bei der Mama. Man hat also sofort einen aufmerksamen Hund vor sich. Und ein Hund, der aufmerksam ist, läuft bei Fuß, macht sein Sitz und er sagt: “Der Thunfisch war super! Ich mach sogar noch Platz! Und guck mal: Der Hund geht vorbei, mir doch egal. Gib nochmal ein Stück Thunfisch!” Ich bringe dem Hund bei, dass es sich lohnt, seine Umwelt zu beachten, wenn er bei mir ist, ich für ihn aber auch ziemlich wichtig sein sollte. Deswegen funktioniert das. Meine Besitzer sagen dann zwar: “Ich kann doch nicht immer Futter mitnehmen! Mein Hund soll das machen, weil er’s machen soll!” Auch, ja! Aber ich gehe doch auch nicht arbeiten ohne Bezahlung. Kein Hund läuft von Natur aus neben uns in unserer Geschwindigkeit. Das ist für viele Hunde eine total blöde Geschwindigkeit. Eigentlich will der Hund gerne traben. Wenn er aber traben würde, wäre er viel zu schnell. Wie dein Husky zum Beispiel.

Seit 2012 ist Joanne Böckmann-Davis als Hundetrainerin selbstständig. (Foto: Joanne Böckmann-Davis)

Hunde sind ja letztlich nur Tiere. Können wir ihnen eigentlich so wirklich vertrauen? Im Fernsehen hört man ja immer wieder mal, dass ein Hund ein Kind attackiert hat.

Ich hätte fast meine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass unser Hund nie so etwas machen würde, aber als unser Sohn geboren war, haben wir ein Kindergitter dazwischen gestellt, weil man nie wissen kann. Es ist ein Tier, genau wie du sagst. Hundertprozentig kann man nie die Hand dafür ins Feuer legen. Aber ich glaube nicht daran, dass ein Hund auf einmal beißt oder auf einmal angreift. Es gibt da häufig leichte Blickkontakte, der Hund fühlt sich unwohl, versucht vielleicht sich zurückzuziehen usw. Wenn der Hund in eine Situation kommt, in der er nicht mehr verstanden wird, brummt er irgendwann. Und viele Besitzer bestrafen das. Und was soll der Hund dann machen? Er lernt, dass Brummen bestraft wird, also brummt er nicht mehr. Dann beißt er. Ich erkläre meinen Kunden das immer mit der Eskalationsleiter. Bei der ersten Sprosse versteift er sich ein bisschen. Bei der zweiten schaut der Hund einen leicht seitlich an, so dass man das Weiße im Auge ein bisschen sehen kann. Danach gibt es Tendenzen, dass der Schwanz ein bisschen steifer wird und das Fell vielleicht eine leichte Bürste wirft. Dann wird manchmal die Ohrenstellung etwas ungewöhnlich. Und dann kann es sein, dass Lippenbewegungen kommen und der Hund brummt. (Sie brummt leicht.) Bis der Hund beißt, ist es also eigentlich eine riesige Leiter. Aber wenn man diese ganzen Anzeichen nicht gesehen hat, nicht sehen wollte oder sogar wegbestraft hat, dann hat der Hund keine andere Möglichkeit als zu sagen: “Ich werde nicht verstanden, also: Stört nicht!” Bamm!

Was ist das Schwierigste an deiner Arbeit?

Das Schwierigste ist, eine Verständigung zwischen Mensch und Tier zu entwickeln. Die Besitzer gucken mich manchmal schon verwundert an, wenn ich freundlich sage: “Sitz.” Denn sie rufen: “SITZ!!” Dann sage ich ihnen: “Man kann das auch nett sagen.” — “Ja, aber der hat nicht gesessen!“. Ich sage freundlich: “Sitz.” 1, 2, 3 — und schon sitzt er! Einfach ein bisschen warten! Wenn ich einem großen Hund “Sitz” sage, dauert’s manchmal ein bisschen, bis er sitzt, bis die Information von hier oben da unten ankommt. Da muss ich nicht fünfmal lauter, lauter, lauter “Sitz” sagen.

Und was ist das Beste an deiner Arbeit? Also was macht Spaß?

Dass du nach ein paar Stunden den Hunden anmerkst, dass sie ihren Besitzern mehr zugewandt sind. Das ist das Größte, wenn ich nach ein paar Stunden sehe, dass der Hund sich beim Spazierengehen immer umdreht und seinen Besitzer anguckt — “Mach ich das richtig?” Da könnte ich manchmal weinen!

Was ist zusammenfassend deine wichtigste Botschaft an Menschen, die Hunde haben?

(Sie denkt nach.) Vielleicht: Liebe deinen Hund für die schönen Dinge, die er von sich aus mitbringt, und lerne Akzeptanz für das, was er nicht gut kann!

 

Fotos: Joanne Böckmann-Davis & Beata Jaranowska
Redaktion: Daria Jaranowska & Jakob Töbelmann

Daria Jaranowska

Journalistin, Projektkoordination und Koordination Bürgermedien im Bennohaus.

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