…Blumen sind, hieß es in dem Lied von Marlene Dietrich aus dem Jahr 1962. Aus heutiger Sicht würde man wahrscheinlich antworten: Es ist Winter, da gibt es halt keine Blumen.
Eine andere Erklärung, die sich nicht auf die Jahreszeit bezieht, könnte der deutliche Rückgang an Insekten in den letzten Jahrzehnten sein. Laut einer Langzeitstudie aus dem Jahr 2017, die sich auf Daten aus dem Zeitraum von 1989 bis 2014 stützte, gab es in den untersuchten Naturschutzgebieten einen Rückgang von Fluginsekten von 76 %, bezogen auf die Gesamtbiomasse.
Zu den Hauptursachen zählen überhöhte Stickstoffeinlagerungen durch Düngung und Insektizide. Man kann davon ausgehen, dass sich die Situation seitdem nicht nachhaltig verbessert hat. In anderen Teilen der Erde wäre man über so einen Rückgang an Insekten ziemlich glücklich.
Sie sagen jetzt vielleicht „Hä?“, aber nö, nix „hä?“ – „Heuschrecken“ ist das passende Stichwort.
Seit Ende 2019 gibt es in vielen Gebieten Afrikas und Asiens die schlimmste Heuschreckenplage seit Jahrzehnten. Wussten Sie nicht? Ist auch kein Wunder, weil sich die deutschen Medien nicht wirklich mit dem Thema beschäftigen und sich stattdessen lieber wie ein Kreisel um die immer selben Themen drehten: Corona, Wahlen in den USA und der Brexit.
Bei der Katastrophe in Afrika schaut man lieber weg. „Moment!“ wird jetzt vielleicht irgendwer sagen, „da war doch ‘letztens’ ein Bericht in der Tagesschau.“ Und tatsächlich. Ich war selber überrascht, dass die Tagesschau am 10. Dezember einen kleinen Beitrag brachte. Den Ersten seit dem 1. Mai, der wohl eine Feiertagsausnahme darstellte.
Im Februar und März folgten noch Infos und dann war das Interesse an dem Thema ganz plötzlich vorbei. Was interessieren uns schon verfressene Insekten in Afrika, wenn es hier ums nackte Überleben geht?!
Für Deutschland ist diese Umschreibung übertrieben dramatisch dargestellt, aber dort ist es leider Wirklichkeit. Die Heuschrecken fressen unvorstellbare Mengen an Pflanzen und so auch die Ernten, die zur Ernährung von Menschen und Tieren gebraucht werden.
Ein Schwarm von etwa einem Quadratkilometer Größe frisst an einem Tag so viel wie 35.000 Menschen. Da es sich seit Beginn der Plage um Milliarden von Tieren handelt, waren laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen bereits im Frühjahr 500.000 Hektar Land betroffen. Das entspricht über 700.000 durchschnittlich großen Fußballfeldern. Damals wurde vorausgesagt, dass die Population noch um das 20-fache anwachsen könnte.
Weil so ein Schwarm an Insekten 130 Kilometer am Tag zurücklegen kann, verbreitet sich das Problem seit Ende 2019 in vielen Regionen. In Asien waren besonders Indien und Pakistan betroffen, woraufhin China eine „Armee aus 100.000 Enten“ in die Grenzregion zu Pakistan losschickte, um auf umweltfreundliche Weise dem Problem entgegenzutreten. So eine Ente verspeist immerhin etwa 200 Insekten pro Tag. In Afrika kann man aber leider nicht auf Enten zurückgreifen.
Das einzige Mittel, der vor Ort zur Verfügung steht, sind Insektizide. Deshalb wird nun fleißig gesprüht. Befallen ist nämlich mittlerweile nicht nur Ostafrika sondern auch südlichere Länder. Alles in allem waren von den Plagen folgende Länder betroffen: Iran, Pakistan, Indien, Jemen, Äthiopien, Eritrea, Uganda, Kongo, Sudan, Süd-Sudan, Somalia, Kenia, Sambia, Namibia, Simbabwe, Botswana und Angola, wobei ich keine Garantie für Vollständigkeit dieser Aufzählung abgeben kann. Allein in Sambia waren im Oktober bereits 300.000 Hektar betroffen von Heuschrecken, die aus dem nördlicheren Teil Afrikas kamen.
Und während im Mai noch von 25 Millionen Menschen gesprochen wurde, deren Lebensmittelversorgung gefährdet sei, waren es in einem Bericht der Deutschen Welle vom Oktober bereits 45 Millionen Menschen. Die nächsten Generationen an Heuschrecken machen sich zurzeit über die Setzlinge der neuen Ernte her.
Falls Sie sich jetzt fragen, welche Zahlen im Bericht der Tagesschau vom 10. Dezember genannt wurden – keine! Es wurde weder vom aktuellen Ausmaß berichtet, noch von den konkreten Folgen für die Bevölkerung. Wäre ja auch irgendwie blöd, wenn ein anderes Thema außer der Corona-Pandemie unnötig Aufmerksamkeit bekommen würde.
Sie denken sich jetzt bestimmt: Was ein deprimierender Text. Gibt es nicht auch irgendwelche guten Nachrichten in dem Zusammenhang? Ich sage: Es kommt drauf an. Falls Sie die Notsituation der Menschen in Afrika nicht tangiert und Sie Aktien der Firmen BASF und Bayer besitzen, dann können Sie sich freuen. Deutschland ist weltweit der zweitgrößte Exporteur von Pestizid-Wirkstoffen. Da freut sich das kalte Anleger-Herz.
Und falls Sie sich nun Sorgen machen sollten, dass nicht genug Gift übrig wäre für die deutschen Landwirt*innen, dann kann ich Sie beruhigen. Die Pestizide, die BASF und Bayer nach Afrika exportieren, sind so toxisch, dass sie in der EU nicht zugelassen sind. Eine Win-Win-Situation für die Chemie-Riesen.
Dass die WHO in ihren Schätzungen von 25 Millionen Vergiftungserscheinungen pro Jahr durch Schädlingsbekämpfungsmittel und 20.000 Todesfällen ausgeht, kann den Anleger*innen ja schnurzpiepegal sein. Solange es in der Kasse brummt, stört auch kein Insekt, das hier nicht mehr summt.
Da muss die Melancholie von Marlene Dietrich ausreichen an Gefühlsregung, während die Medien aktiv wegschauen.
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